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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wirklich vertraut, Kaja. Bleibt mir nur, dir zu gratulieren. Gratuliere zum perfekt ausgeführten Job. Würdest du jetzt bitte aus dem Weg gehen?«
    Er sah, wie sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten. Dann trat sie einen Schritt zur Seite, und er taumelte an ihr vorbei nach drinnen und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Er blieb in dem stummen Vakuum stehen, das sich nach dem Knallen der Tür ausgebreitet hatte, der jähen Stille, der Leere, dem seligen Nichts.
KAPITEL 47
    Angst im Dunkeln
    O lav Hole blinzelte mit den Augenlidern und starrte ins Dunkel. »Bist du das, Harry?«
    »Ja.«
    »Es ist Nacht, nicht wahr?«
    »Ja. Nacht.«
    »Wie geht es dir?«
    »Ich lebe.«
    »Lass mich das Licht einschalten …«
    »Nicht nötig. Ich will dir nur etwas erzählen.«
    »Den Ton kenne ich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es hören will.«
    »Morgen wirst du es eh in der Zeitung lesen.«
    »Und du willst mir eine andere Version erzählen?«
    »Nein, ich will nur der Erste sein.«
    »Hast du getrunken, Harry?«
    »Willst du es hören?«
    »Dein Großvater hat getrunken. Ich habe ihn geliebt. Egal ob betrunken oder nüchtern. Das sagen sicher nicht viele über einen besoffenen Vater. Nein, ich will es nicht hören.«
    »Hm.«
    »Und das Gleiche kann ich auch über dich sagen. Ich liebe dich. Habe dich immer geliebt. Betrunken wie nüchtern. Und es ist mir nie schwergefallen. Obwohl du immer so streitbar warst. Ständig mit irgendwem im Krieg, und immer mit dir selbst. Aber wirklich, dich zu lieben war das Einfachste, was ich getan habe, Harry.«
    »Papa …«
    »Wir haben keine Zeit, über unwichtige Sachen zu reden, Harry. Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählt habe, ich glaube schon, aber manche Dinge denken wir so oft und so intensiv, dass wir sicher sind, sie längst laut ausgesprochen zu haben. Ich war immer stolz auf dich, Harry. Habe ich dir das oft genug gesagt?«
    »Ich …«
    »Ja?« Olav Hole lauschte ins Dunkel. »Weinst du, Junge? Das ist in Ordnung. Weißt du, was mich am meisten mit Stolz erfüllt hat? Ich habe dir das nie erzählt, aber einer deiner Lehrer hat mich mal angerufen, als du noch in der Mittelstufe warst. Er hat mir berichtet, du wärest wieder in eine Prügelei verwickelt gewesen. Mit zwei größeren Jungs aus der Klasse über dir, dieses Mal sei es aber nicht so gut ausgegangen, sie hätten dich in die Ambulanz bringen müssen, um deine Lippe zu nähen und dir einen Zahn zu ziehen. Erinnerst du dich noch? Ich habe dir damals das Taschengeld gestrichen. Aber egal, später hat mir Oystein von dieser Prügelei erzählt. Dass du dich auf die Jungen gestürzt hättest, weil sie Holzschuhs Rucksack mit Wasser aus dem Springbrunnen auf dem Schulhof gefüllt hatten.
    Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, mochtest du diesen Holzschuh nicht einmal richtig. 0ystein sagte, du hättest dir deine Blessuren nur deshalb zugezogen, weil du einfach nicht aufgegeben hast, sondern immer wieder aufgestanden bist, bis du irgendwann so blutig warst, dass die Großen von sich aus aufgehört haben.« Olav Hole lachte still. »Damals konnte ich dir das nicht sagen, das wäre sonst ja wie eine Aufforderung zu weiteren Prügeleien gewesen. Aber ich war so stolz auf dich, dass ich fast lachen musste. Du warst so mutig, Harry. Du hattest Angst im Dunkeln, gingst aber trotzdem hinein. Ich war der stolzeste Vater der ganzen Welt. Habe ich dir das jemals gesagt, Harry? Harry? Bist du noch da?«
    Frei. Die Champagnerflasche zersplittert an der Wand, und Blasen und Schaum rinnen wie kochende Gehirnmasse an der Tapete hinab, über Bilder und Zeitungsausschnitte und den Ausdruck aus dem Internet mit dem Bild von Harry Hole, der die ganze Schuld auf sich nimmt. Frei, frei von Schuld. Frei, die Welt erneut zum Teufel zu jagen. Ich trete auf die Glasscherben, höre das Knirschen und drücke sie in den Boden. Ich habe nackte Füße. Rutsche in meinem eigenen Blut aus. Heule vor Lachen. Frei. Frei!
KAPITEL 48
    Hypothese
    D er Leiter der Mordkommission des Polizeidistrikts Sydney South, Neil McCormack, strich sich die schütteren Haare nach hinten und studierte die Frau mit der Brille, die ihm gegenüber am Tisch des Verhörraums saß. Sie war direkt aus dem Verlag gekommen, in dem sie arbeitete. Sie trug ein schlichtes, leicht zerknittertes Kostüm, aber trotzdem hatte Iska Peller etwas an sich, das ihn vermuten ließ, dass ihre Kleider teuer waren, wahrscheinlich nur nicht dafür bestimmt, einfache Seelen wie ihn zu

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