Leopard
Ermittlungsleiter entschieden, die Festnahme vor der Öffentlichkeit zu vertreten, obgleich wir bereits ahnten, dass einer unserer Polizisten einen Fehler gemacht hatte. Aber als Harry Hole später darauf bestand, aus dem Schatten zu treten, habe ich ihn gelassen, da er ja ein erfahrener Hauptkommissar ist und nicht einmal fürs Kriminalamt arbeitet.«
»Und ich soll das machen, weil ich, wenn ich nicht unterschreibe, wegen Drogenschmuggels und -besitzes angezeigt werde.«
Bellman legte die Fingerspitzen aneinander und kippelte mit dem Sessel.
»Korrekt. Aber noch wichtiger für Ihre Motivation ist vielleicht die Tatsache, dass ich Sie auf der Stelle in Untersuchungshaft nehmen könnte. Bedauerlich, da ich doch weiß, wie gerne Sie bei Ihrem Vater im Krankenhaus wären, der, wie ich gehört habe, nicht mehr lange zu leben hat. Wirklich traurig.«
Harry lehnte sich im Sofa zurück. Er wusste, dass er wütend sein sollte. Dass der alte – der jüngere – Harry genau so reagiert hätte. Aber der Harry hier und jetzt zog es vor, sich in seinem nach Erbrochenem und Schweiß stinkenden Sofa zu vergraben, die Augen zu schließen und zu hoffen, dass sie endlich gingen, sich verzogen, Bellman, Kaja und die Schatten vor dem Fenster. Trotzdem fuhr sein Hirn gegen seinen Willen mit den automatischen, angelernten Überlegungen fort.
»Mal ganz unabhängig von mir«, hörte er sich selbst sagen, »wieso sollte Leike diese Version unterstützen? Es waren schließlich Leute vom Kriminalamt, die ihn verhaftet und verhört haben.«
Harry kannte die Antwort bereits, ehe Bellman sie aussprach.
»Weil Leike genau weiß, dass an jedem, der einmal verhaftet worden ist, ein Schatten des Verdachts hängenbleibt. Für jeman den wie ihn, der gerade jetzt versucht, das Vertrauen von Investoren zu gewinnen, ist das natürlich besonders unan genehm. Die beste Möglichkeit, diesen Schatten loszuwerden, ist es, sich der Version anzuschließen, die besagt, dass die Festnahme die Tat einer verirrten Kanonenkugel war, eines unseriösen Elementes in den Reihen der Polizei, der im Alleingang Amok gelaufen ist. Einverstanden?«
Harry nickte.
»Außerdem geht es um die Behörde …«, begann Bellman.
»Ich schütze die gesamte Polizei, indem ich die ganze Schuld auf mich nehme«, sagte Harry.
Bellman grinste. »Ich wusste doch, dass Sie ein relativ intelligenter Mann sind. Hole. Heißt das, dass wir zu einer Einigung gekommen sind?«
Harry dachte nach. Wenn Bellman ging, konnte er herausfinden, ob wirklich noch ein paar Tropfen Whiskey in der Flasche waren. Er nickte.
»Hier ist die Pressemitteilung. Ich will Ihren Namen dort unten.«
Bellman schob ein Blatt Papier, auf dem ein Stift lag, über den Tisch. Es war zu dunkel zum Lesen. Aber das spielte keine Rolle. Harry unterschrieb.
»Gut«, sagte Bellman, nahm das Blatt und erhob sich. Der Schein einer Straßenlaterne vor dem Fenster fiel auf sein Gesicht und brachte die Kriegsbemalung zum Leuchten. »So ist es für uns alle das Beste. Vergessen Sie das nicht, Hole. Und ruhen Sie sich ein wenig aus.«
Die gnädige Fürsorge des Siegers, dachte Harry, schloss die Augen und spürte, dass der Schlaf ihn willkommen hieß. Dann öffnete er die Augen noch einmal, kam mühsam auf die Beine und folgte Bellman bis zur Treppe. Kaja stand nach wie vor mit verschränkten Armen neben ihrem Wagen.
Harry sah, wie Bellman Kaja zunickte, was sie mit einem Schulterzucken beantwortete. Sah ihn die Straße überqueren und in einen Wagen steigen, den er an einem anderen Abend in der Lyder Sagens gate hatte stehen sehen, sah ihn den Motor starten und wegfahren. Kaja war an den Fuß der Treppe gekommen. Ihre Stimme war noch immer heiser vom Weinen.
»Wieso hast du Björn Holm geschlagen?«
Harry drehte sich um, um ins Haus zu gehen, aber sie war schneller, nahm die Treppe in zwei Sätzen und schob sich zwischen ihn und die Tür. Ihr Atem ging schnell und legte sich warm auf sein Gesicht.
»Erst als dir aufging, dass er unschuldig ist, hast du zugeschlagen. Wieso?«
»Geh jetzt, Kaja.«
»Ich gehe nicht!«
Harry sah sie an. Wusste, dass er nicht erklären konnte, wie unerwartet schmerzhaft es gewesen war, als er alles begriffen hatte. Schmerzhaft genug, um einfach zuzuschlagen, in das verdutzte, unschuldige Mondgesicht, sein eigenes Spiegelbild naiver Gutgläubigkeit.
»Was willst du wissen?«, fragte er und hörte das Metall, fühlte die rasende Wut, die sich in seine Stimme drängte. »Ich habe dir
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