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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wurde.
    »Was für eine Verhandlungsposition glauben Sie eigentlich zu haben, Harry?«
    »Nun, ich denke, die ist besser als jemals zuvor.«
    »Da irren Sie sich.«
    »Kaja Solness will nicht mehr für Sie arbeiten. Björn Holm haben Sie schon befördert, und wenn Sie ihn wieder degradieren und er zurück an die Tatorte muss, ist ihm das nur recht. Der Einzige, dem Sie jetzt noch schaden können, bin ich, Bellman.«
    »Haben Sie bedacht, dass ich Sie einsperren lassen könnte, so dass Sie Ihren Vater vor seinem Tod nicht mehr sehen?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Da ist niemand mehr anzutreffen, Bellman.«
    Mikael Bellman zog überrascht die Augenbrauen hoch.
    »Sie haben heute Morgen aus dem Krankenhaus angerufen«, sagte Harry. »Mein Vater ist heute Nacht ins Koma gefallen. Sein Arzt, Abel, meint, dass er nicht mehr aufwachen wird. Was ich mit meinem Vater bis jetzt noch nicht geklärt habe, wird wohl ungeklärt bleiben.«
KAPITEL 54
    Tulpe
    B ellman sah Harry schweigend an. Das heißt, seine rehbraunen Augen waren Harry zugewandt, während sein Blick nach innen gerichtet war. Harry wusste genau, dass dort drinnen jetzt eine Ausschusssitzung stattfand, eine Diskussion mit weit auseinandergehenden Meinungen. Bellman löste ganz langsam das Chalkbag, das er sich um die Taille gebunden hatte, um Zeit zu gewinnen. Zeit zum Nachdenken. Dann stopfte er das Bag mit einer wütenden Geste in den Rucksack.
    »Falls – und nur
falls
- ich Sie um Hilfe bitten sollte, ohne ein Druckmittel gegen Sie in der Hand zu haben«, sagte er, »warum um alles in der Welt sollten Sie mir dann helfen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Bellman schaute von seinem Rucksack hoch. »Sie wissen es nicht?«
    »Nun, sicher nicht aus Zuneigung zu Ihnen, Bellman.«
    Harry atmete tief ein. Fingerte an der Zigarettenschachtel herum. »Lassen Sie es mich so sagen: Selbst ein Mensch, der sich völlig einsam und isoliert fühlt, stellt möglicherweise irgendwann fest, dass er so etwas wie ein Zuhause hat. Einen Platz, an dem er sich vorstellen kann, begraben zu werden. Und wissen Sie, wo ich begraben werden möchte, Bellman? Im Park vorm Polizeipräsidium. Nicht weil mir die Polizei so am Herzen liegt oder ich je ein Anhänger des sogenannten Korpsgeistes gewesen wäre. Im Gegenteil, ich habe oft genug auf die feige Loyalität der Polizisten zum Korps gespuckt, diese inzestuöse Kameradschaft, die nur daher rührt, dass die Leute hoffen, eines schönen Regentages auf den Dienst eines Kollegen zurückgreifen zu können. Ein Kollege, der dich rächt, dir eine entlastende Zeugenaussage gibt oder, wenn nötig, beide Augen zudrückt. Ich hasse das alles.«
    Harry drehte sich zu Bellman um.
    »Aber die Polizei ist das Einzige, was ich habe. Sie ist mein Stamm. Und meine Aufgabe ist es, Morde aufzuklären. Sei es für das Kriminalamt oder für das Dezernat für Gewaltverbrechen. Können Sie das nachvollziehen?«
    Mikael Bellman knetete seine Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger. Harry zeigte mit einem Nicken zur Wand. »Was sind Sie da grad geklettert, Bellman? Sieben plus?«
    »Acht minus.
Onsight.«
    »Das ist hart. Und ich tippe mal, Sie finden das hier noch härter. Aber anders geht es nicht für mich.«
    Bellman räusperte sich. »Okay. Okay, Harry.« Er zerrte ungeduldig an den Schnüren seines Rucksackes. »Wollen Sie uns helfen?«
    Harry steckte das Zigarettenpäckchen zurück in die Tasche und neigte den Kopf nach vorn. »Selbstverständlich.«
    »Ich muss mich aber erst mit Ihrem Chef in Verbindung setzen, ob das in Ordnung geht.«
    »Nicht nötig«, sagte Harry und streckte sich. »Ich habe ihn bereits informiert, dass ich ab sofort für das Kriminalamt arbeite. Wir sehen uns um zwei Uhr.«
    Iska Peller schaute aus dem Fenster des zweistöckigen Backsteinhauses, das sich in nichts von den anderen Häusern in der Straße unterschied. Es hätte in jeder x-beliebigen Straße in jeder x-beliebigen englischen Stadt stehen können, befand sich aber in dem kleinen Stadtteil Bristol in Sydney, Australien. Ein kalter Südwind war aufgekommen. Sobald die Sonne unterging, würde die Nachmittagshitze ihren Klammergriff lockern.
    Sie hörte einen Hund bellen und den dichten Autoverkehr zwei Häuserblocks entfernt.
    Der Mann und die Frau in dem Auto auf der anderen Straßenseite waren abgelöst worden, nun saßen dort zwei Männer. Sie tranken langsam ihren Kaffee. Aus Pappbechern mit Deckeln. Langsam, weil es keinen einzigen Grund gab, sich zu beeilen, wenn

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