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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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hohen Wänden. Wobei Wände ein etwas hochtrabendes Wort war, die künstlichen Felsen sahen eher wie die Pappmache-Kulissen der Tarzanfilme aus, die er sich in seiner Kindheit gemeinsam mit 0ystein im Symra-Kino angeschaut hatte. Sah man einmal davon ab, dass diese mit Griffen, Bolzen und Karabinern in grellen Farben aufgepeppt worden waren. Ein diskreter Geruch nach Seife und Fußschweiß stieg aus den blauen Matten am Boden, über die Harry lief. Er blieb neben einem O-beinigen, gedrungenen Mann stehen, der konzentriert zu dem Überhang über ihm hochschaute. Von seinem Klettergurt aus führte ein Seil zu dem Mann, der exakt in diesem Moment in acht Metern Höhe an einer Hand in der Wand hing, plötzlich einen Fuß nach oben schwang und sich mit der Ferse in einem birnenförmigen Griff verankerte, bevor er mit dem anderen Fuß auf einem Rest Struktur Halt fand und das Ende des Seils mit einem eleganten Schwung in den obersten Karabiner einhakte.
    »Got you!«,
rief er, lehnte sich nach hinten ins Seil und stemmte die Füße gegen die Wand. »Guter Heelhook«, kommentierte Harry. »Ihr Chef ist ein kleiner Blender, was?« Jussi Kolkka würdigte Harry keines Blickes und antwortete ihm nicht, während er die Seilbremse lockerte.
    »Im Büro haben sie mir gesagt, dass Sie hier sind«, sagte Harry zu dem Mann, der langsam zu ihnen nach unten schwebte.
    »Gleiche Zeit, jede Woche«, sagte Bellman. »Einer der wenigen kleinen Vorteile des Polizistendaseins ist, dass man während der Dienstzeit trainieren darf. Wie sieht es mit Ihnen aus, Harry? Sie sehen aus, als hätten Sie eine Defi-Phase hinter sich. Viel Muskelmasse pro Kilo, denke ich. Ideal fürs Klettern, wissen Sie.«
    »Keine Ambitionen«, sagte Harry.
    Bellman landete breitbeinig auf dem Boden und zog etwas Seil nach, damit er den Achterknoten lösen konnte. »Das verstehe ich nicht.«
    »Ich sehe keinen Sinn darin, so hoch zu klettern. Ich kraxele manchmal auf Felsblöcken rum.«
    »Bouldern«, schnaubte Bellman, löste das Seil und trat aus der Schlinge. »Sie wissen, dass es schmerzhafter ist, zwei Meter ohne Seil zu fallen als dreißig mit?«
    »Ja«, sagte Harry und grinste schief. »Das weiß ich.«
    Bellman setzte sich auf eine der Holzbänke, zog sich die ballettschuhartigen Kletterschuhe aus und rieb sich die Füße, während Kolkka das Seil nach unten zog und aufzuwickeln begann. »Sie haben meine Nachricht erhalten?«
    »Ja.«
    »Warum eilt es dann so, wir sehen uns dann doch um zwei?«
    »Das wollte ich mit Ihnen besprechen, Bellman.«
    »Besprechen?«
    »Bevor wir die anderen treffen. Wir müssen vorher absprechen, unter welchen Prämissen ich in Ihrem Team mitarbeite.«
»Team?«,
Bellman lachte. »Wovon reden Sie, Harry?«
    »Muss ich wirklich deutlicher werden? Sie brauchen mich nicht, um in Australien anzurufen, um eine Frau anzurufen und sie zu bitten, für uns als Lockvogel zu fungieren. Das schaffen Sie spielend allein. Was Sie wollen, ist
Hilfe.«
    »Harry, also wirklich, jetzt …«
    »Sie sehen erschöpft aus, Bellman. Sie spüren den Druck, der nach Marit Olsens Mord eskaliert ist.« Harry setzte sich neben den Kriminaloberkommissar auf die Bank. Selbst sitzend überragte er ihn noch um zehn Zentimeter.
»Feeding frenzy
vor der Presse, und das jeden verfluchten Tag. Unmöglich, an einem Zeitungsständer vorbeizugehen oder den Fernseher einzuschalten, ohne ständig an den Fall erinnert zu werden. Den Fall, den Sie nicht gelöst haben. Den Fall, mit dem Sie Ihre Vorgesetzten ständig nerven. Den Fall, der täglich eine Pressekonferenz fordert, bei der die Geier wild durcheinander ihre Fragen stellen. Und jetzt ist der Mann, den Sie gehenlassen mussten, einfach von der Bildfläche verschwunden. Weitere Pressegeier kommen angeflogen, und die ersten reden schon Schwedisch, Dänisch, ja sogar Englisch. Ich war schon mal an Ihrer Stelle, Bellman. Bald reden Sie auch noch dieses beschissene Französisch. Diesen Fall müssen Sie lösen, Bellman, aber Sie stecken fest, kommen nicht weiter.«
    Bellman antwortete nicht, aber seine Kiefermuskulatur arbeitete. Kolkka hatte das Seil im Rucksack verstaut und kam auf sie zu, aber Bellman winkte ihn weg. Der Finne machte kehrt und trottete wie ein gehorsamer Terrier auf den Ausgang zu.
    »Was wollen Sie, Harry?«
    »Ich biete Ihnen an, das hier unter vier Augen zu klären statt nachher vor allen Leuten.«
    »Sie wollen, dass ich Sie um Hilfe bitte?«
    Harry sah, dass Bellmans Gesicht eine Spur dunkler

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