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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Bilderbuchbeispiel für den Niedergang der Industrie in Oslo. Die Industriebauten, die nicht abgerissen worden waren, um Platz für gefällige und chic designte Bürogebäude aus Glas und Stahl zu schaffen, waren zu Fernsehstudios, Restaurants und großen offenen Lofts aus rotem Backstein umgebaut worden, in denen die Belüftungs- und Wasserleitungsrohre offen über den Wänden lagen.
    Letztere wurden gern von Werbeagenturen gemietet, die damit ihre innovative Denkweise und Haltung unter Beweis stellen wollten: Kreativität kann genauso in billigen Industrieräumlichkeiten blühen wie in den teuren, repräsentativen Zentrumsbüros der Konkurrenz. Dabei kosteten die Räumlichkeiten in Nydalen mindestens genauso viel wie die in der Stadt, da alle Werbeagenturen im Grunde ihres Herzens traditionell tickten. Soll heißen: Sie folgten den neuesten Trends und zahlten den Preis dafür.
    Die Eigentümer des Geländes, auf dem die stillgelegte Kadokfabrik lag, hatten sich nicht an dieser
Bonanza
beteiligt. Als die Fabrik vierzehn Jahre zuvor nach jahrelangem Minusgeschäft und chinesischem Dumpinghandel von PSG schließlich die Pforten schloss, waren sich die Erben des Gründers gegenseitig an die Gurgel gesprungen. Und während sie darüber stritten, wer was bekommen sollte, verfiel die Fabrik auf dem abgelegenen Gelände hinter den Lattenzäunen am westlichen Ufer des Akerselva. Gestrüpp und Bäume wucherten ungehindert und schützten nach einer Weile die Fabrik vor neugierigen Blicken. Aus diesem Grund wirkte das große Vorhängeschloss am Eingangstor irgendwie seltsam, fand Harry.
    »Schneiden Sie es durch«, sagte er zu dem Polizeibeamten neben ihm.
    Die Backen des riesigen Bolzenschneiders bissen sich durch das Metall wie durch Butter, so dass das Schloss ebenso schnell geknackt war, wie Harry für die Ausstellung des Durchsuchungsbefehls gebraucht hatte. Der Staatsanwalt im Kriminalamt hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er wahrlich wichtigere Dinge zu erledigen habe, als sich über Durchsuchungsbefehle Gedanken zu machen, und ihm umgehend einen fertig ausgefüllten Wisch in die Hand gedrückt. Harry hatte im Stillen gedacht, dass das Morddezernat auch ein paar gestresste, nonchalante Anwälte gebrauchen könnte.
    Die niedrig stehende Nachmittagssonne spiegelte sich in den Glaszacken der zerschlagenen Scheiben in der Backsteinfassade. Es herrschte eine Atmosphäre der Ruhe und Verlassenheit, wie man sie nur in stillgelegten, menschenleeren Fabriken findet, in denen ursprünglich alles auf hektische, effektive Aktivität ausgelegt gewesen war. Das Echo von Eisen auf Eisen, die Rufe, Flüche und das Gelächter schwitzender Männer an dröhnenden Maschinen hallten stumm zwischen den Wänden wider. Wind fegte durch die verrußten, ausgeschlagenen Fensteröffnungen herein und versetzte die Spinnweben mit ihren leblosen Insektenhüllen in Schwingung.
    An der großen Eingangstür zur Fabrikhalle hing kein Schloss. Die fünf Männer durchquerten den länglichen, kirchenschiffartigen Raum, der wie der Schauplatz einer Evakuierung wirkte. Überall lagen Werkzeuge herum, eine Palette mit weißen Eimern mit der Aufschrift PSG TYPE 3 stand abholbereit da, und über einem Stuhlrücken hing ein blauer Arbeitskittel.
    Etwa in der Mitte der Halle blieben sie stehen. In der einen Ecke stand auf einem etwa einen Meter hohen Sockel eine Art Pavillon, geformt wie ein Leuchtturm. Wahrscheinlich für den Vorarbeiter, dachte Harry. Weiter oben an den Wänden führte eine Galerie um die ganze Halle herum. Sie mündete an einem Ende in einer Zwischenetage, auf der sich einige Räume befanden. Harry vermutete dort den Pausenraum und die Verwaltung.
    »Wo fangen wir an?«, fragte Harry.
    »Wie immer«, sagte Björn Holm und sah sich um. »Oben links in der Ecke.«
    »Und wonach suchen wir?«
    »Einem Tisch, einer Bank mit blauem Eternit. Die Flecken am Hosenboden sind etwas unterhalb der Gesäßtaschen, sie hat also gesessen, mit abwärts angewinkelten Beinen, nicht flach gelegen.«
    »Wenn ihr hier unten anfangt, gehe ich mit dem Beamten und dem Bolzenschneider nach oben«, sagte Harry.
    »Aha?«
    »Um euch Burschen von der Technik die Türen zu öffnen. Wir versprechen auch, kein Sperma zu hinterlassen.«
    »Sehr komisch. Nichts …«
    »… anfassen.«
    Als Harry und der Beamte, dessen Namen er längst vergessen hatte und den er deshalb nur »der Beamte« nannte, über die Wendeltreppe nach oben stiegen, stimmten die Metallstufen

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