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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Umgebung. Ein Nachbar oder Freund, ein Kollege. Oder einer, der einfach da ist, unmittelbar hinter einer anderen Person, die du deutlich siehst, ein Schatten, den du nicht anders wahrnimmst als ein Anhängsel dieses anderen. Denk mal darüber nach, wer durch dein Blickfeld geglitten ist. Denn dort ist er gewesen. Du kennst sein Gesicht bereits. Ihr müsst nicht viele Worte gewechselt haben, aber wenn er wie ich ist, konnte er sich nicht beherrschen, Harry. Er hat
dich berührt.«
    Harry parkte vor dem Savoy und ging auf direktem Weg in die Bar.
    »Sie wünschen?«
    Harrys Blick glitt über die Flaschenreihen in den Glasregalen im Rücken des Barkeepers. Beefeater, Johnnie Walker, Bristol Cream, Absolute, Jim Beam. Er suchte nach einem Mann, der einen glühenden Hass in sich trug. Einem, der keine Gefühle an sich ranließ. Einem mit einem Panzerherzen.
    Sein Blick blieb an einer Flasche hängen. Und wanderte zurück. Sein Mund klappte auf. Es war wie ein göttlicher Wink. Und in diesem Wink lag
alles.
Die Stimme kam von unendlich weit her. »Mister? Hallo?«
    »Ja.«
    »Haben Sie was gefunden?«
    »Ja«, sagte er. »Ich habe was gefunden.«
KAPITEL 71
    Glücksgefühl
    G unnar Hagen hielt einen Bleistift zwischen den Zeigefingern, während er Harry musterte, der ausnahmsweise einmal aufrecht auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch saß – und nicht hing.
    »Technisch gesehen bist du zurzeit dem Kriminalamt unterstellt und gehörst damit zu Bellmans Mannschaft«, sagte der Dezernatsleiter. »Ergo wäre eine von dir vorgenommene Festnahme ein Heimsieg für Bellman.«
    »Und wenn ich – rein hypothetisch – euch informieren würde und jemand vom Morddezernat die Festnahme vornimmt, sagen wir mal Kaja Solness oder Magnus Skarre?«
    »Selbst so ein großzügiges Angebot deinerseits müsste ich abschlagen, Harry. Ich bin, wie gesagt, an Abmachungen gebunden.«
    »Hm. Bellman hat dich weiterhin fest im Griff, was?«
    Hagen seufzte. »Wenn ich mir die Kapriole leisten sollte, Bellman die Festnahme in Norwegens größtem Mordfall zu entziehen, wird das Justizministerium bald über alles Bescheid wissen. Zum Beispiel, dass ich mich ihren Anweisungen widersetzt habe, indem ich dich aus Hongkong zurückgeholt habe, damit du in diesem Fall ermittelst. Das wird als Befehlsverweigerung ausgelegt werden und das ganze Dezernat mit reinreißen. Tut mir leid, Harry, aber ich kann das nicht.«
    Harry starrte nachdenklich vor sich hin. »Okay, Chef.« Er sprang von seinem Stuhl auf und ging mit raschen Schritten zur Tür.
    »Warte!«
    Harry blieb stehen.
    »Warum fragst du danach, Harry? Läuft etwas, worüber ich Bescheid wissen sollte?« Harry schüttelte den Kopf. »Reines Abklopfen von Hypothesen, Chef. Das ist schließlich unser Job, oder?«
    Harry nutzte die Zeit bis drei Uhr, um ein paar Telefonate zu erledigen. Den letzten Anruf erhielt Björn Holm, der sich sofort zu fahren bereit erklärte.
    »Ich hab doch noch gar nicht erklärt, wohin und warum«, sagte Harry.
    »Nicht nötig«, sagte Björn und betonte jedes einzelne Wort. »Ich-vertraue-dir.«
    Es entstand eine Pause.
    »Das saß«, sagte Harry.
    »Gut«, sagte Björn.
    »Ich meine mich vage zu erinnern, dass ich mich bei dir entschuldigt habe, aber hab ich das eigentlich?«
    »Nein.«
    »Nicht? Okay. Ent… ent… ent… Verdammt, das ist hart. Ent… ent…«
    »Klingt wie ein Kaltstart,
buddy«,
sagte Björn, und Harry hörte regelrecht sein Grinsen.
    »Sorry«, sagte Harry. »Ich hoffe, noch bevor es um fünf Uhr losgeht, ein paar Fingerabdrücke zu bekommen, die ich gern von dir untersucht hätte. Wenn sie nicht übereinstimmen, brauchst du nicht zu fahren, sagen wir es mal so.«
    »Wieso diese Geheimniskrämerei?«
    »Weil du mir vertraust.« Um halb vier klopfte Harry an die Tür des kleinen Aufenthaltsraumes für den Bereitschaftsdienst im Reichshospital. Sigurd Altman öffnete.
    »Hallo, könnten Sie sich das hier mal ansehen?« Er reichte dem Pfleger einen Stapel Bilder. »Die sind noch feucht«, sagte Altman. »Kommen direkt aus der Dunkelkammer.«
    »Hm. Ein abgeschnittener Finger. Was ist damit?«
    »Ich vermute, dass der Besitzer des Fingers eine gehörige Dosis Ketanomin intus hatte. Und ich würde gern wissen, ob Sie als Anästhesie-Experte sagen können, ob man Spuren davon in dem Finger finden könnte.«
    »Ja, klar, das Zeug verteilt sich mit dem Blut im ganzen Körper.«
    Altman blätterte durch die Bilder. »Der Finger sieht ziemlich blutleer aus, aber

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