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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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stemmte sich hoch, brachte den Schwerpunkt nach vorn und schwankte los, den Kopf als Antenne und Rammbock einsetzend. Er führte ihn ohne nennenswerte Zusammenstöße in die Küche, wo er es gerade noch schaffte, sich mit den Händen auf dem Spülbeckenrand abzustützen, ehe es ihm in einem Strahl aus dem Mund schoss.
    Als er die Augen öffnete, sah er, dass das Trockengestell im Becken stand. Dünnflüssige, gelbgrüne Suppe lief an einem ein samen, hochkant stehenden Teller herunter. Harry drehte den Wasserhahn auf. Einer der Vorteile eines rückfälligen Alkoholikers war, dass das Erbrochene ab Tag zwei nicht mehr die Abflüsse verstopfte.
    Harry trank Wasser direkt aus dem Hahn. Nicht viel, denn er wusste – und das war der zweite Vorteil eines erfahrenen Alkoholikers –, was sein Magen vertrug.
    Breitbeinig, als hätte er in die Hose gemacht, ging er zurück ins Wohnzimmer. Als er sich aufs Sofa legte, hörte er ein leises Quäken am Fußende. Das dünne Stimmchen eines Miniaturmenschen rief seinen Namen. Er fummelte zwischen seinen Füßen herum und hielt das rote Mobiltelefon an sein Ohr.
    »Was ist denn?«
    Die Galle brannte in seiner Kehle, und er fragte sich, was er dagegen tun konnte. Ausspucken, runterschlucken oder einfach brennen lassen, wie er es verdiente?
    Er hörte schweigend zu, als sie ihm erklärte, dass sie ihn sehen wollte. Im Ekeberg-Restaurant? Jetzt. Oder in einer Stunde.
    Harry starrte die beiden leeren Jim-Beam-Flaschen auf dem Wohnzimmertisch an und blickte danach auf seine Uhr. Sieben. Das Vinmonopol war geschlossen. Restaurantbar.
    »Jetzt«, sagte er.
    Er legte auf, aber das Telefon klingelte gleich wieder. Nach einem Blick auf das Display nahm er das Gespräch an. »Hallo, Øystein.«
    »Endlich! Warum nimmst du denn nicht ab? Verdammt, Harry, jag mir nicht so einen Schrecken ein, langsam hab ich mir echt Sorgen gemacht, dass du einen Hendrix genommen hast.«
    »Kannst du mich ins Ekeberg-Restaurant fahren?«
    »Was glaubst du eigentlich, wer ich bin, ein verdammter Taxifahrer?«
    Achtzehn Minuten später parkte Øysteins Wagen vor der Treppe von Holes Haus, und Øystein rief aus dem runtergekur belten Seitenfenster: »Muss ich dir helfen, die verdammte Haustür abzuschließen, du Saufkopp?«
     
    »Abendessen?«, fragte Øystein, als sie durch Nordstrand fuh ren. »Um zu vögeln oder weil ihr gevögelt habt?«
    »Entspann dich. Wir sind Kollegen.«
    »Ha ha. Wie schon meine Exfrau sagte: ›Man begehrt, was man jeden Tag sieht.‹ Hat sie wahrscheinlich aus einem Wochenblatt. Nur, dass sie nicht mich damit meinte, sondern die verdammte Ratte aus dem Nachbarbüro.«
    »Du warst nie verheiratet, Øystein.«
    »Hätte ich aber sein können. Der Typ trug Pullunder und Schlips und sprach Nynorsk. Keinen Dialekt, sondern dieses künstliche, dieses fucking Ivar-Aase-Nynorsk! Verdammt, Mann, ohne Scheiß. Kannst du dir vorstellen, wie das ist? Du liegst allein im Bett und stellst dir vor, wie die, die deine Frau hätte werden können, auf einem Schreibtisch von einem Pullunder mit einem weißen Bauernarsch gefickt wird, bis er mit dem Pumpen aufhört, innehält, die Arschbacken zusammenkneift und brüllt: ICH KOMME !«
    Øystein sah zu Harry hinüber, der keinerlei Reaktion zeigte.
    »Scheiße, Harry, das ist großer Humor. Bist du so fertig?«
     
    Kaja saß tief in Gedanken versunken an einem Fenstertisch und blickte über die Stadt, als ein leises Räuspern sie dazu veranlasste, sich umzudrehen. Der Oberkellner stand mit dem bedauernden Das-steht-zwar-auf-der-Karte-aber-die-Küche-sagt-dass-es-heute-nicht-da-ist-Blick vor ihr, beugte sich weit zu ihr herunter, sprach aber trotzdem so leise, dass sie ihn kaum verstand.
    »Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Begleitung eingetroffen ist.« Er korrigierte sich errötend. »Ich meine, ich bedauere, dass wir ihn nicht hereinlassen können. Er ist ein wenig … animiert, befürchte ich. Und unsere Vorschriften …«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Kaja und stand auf. »Wo ist er?«
    »Er wartet draußen. Ich befürchte, er hat bei seiner Ankunft ein Getränk in der Bar bestellt und es nun mit rausgenommen. Wenn Sie so freundlich wären, dafür zu sorgen, dass das Getränk wieder nach drinnen kommt. Das kann uns unsere Ausschankgenehmigung kosten, wissen Sie.«
    »Selbstverständlich, wenn Sie dann so freundlich wären, mir meinen Mantel zu bringen«, sagte Kaja und durchquerte eilig das Restaurant, mit dem nervös trippelnden

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