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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sich. Der Schein einer Straßenlaterne vor dem Fenster fiel auf sein Gesicht und brachte die Kriegsbemalung zum Leuchten. »So ist es für uns alle das Beste. Vergessen Sie das nicht, Hole. Und ruhen Sie sich ein wenig aus.«
    Die gnädige Fürsorge des Siegers, dachte Harry, schloss die Augen und spürte, dass der Schlaf ihn willkommen hieß. Dann öffnete er die Augen noch einmal, kam mühsam auf die Beine und folgte Bellman bis zur Treppe. Kaja stand nach wie vor mit verschränkten Armen neben ihrem Wagen.
    Harry sah, wie Bellman Kaja zunickte, was sie mit einem Schulterzucken beantwortete. Sah ihn die Straße überqueren und in einen Wagen steigen, den er an einem anderen Abend in der Lyder Sagens gate hatte stehen sehen, sah ihn den Motor starten und wegfahren. Kaja war an den Fuß der Treppe gekommen. Ihre Stimme war noch immer heiser vom Weinen.
    »Wieso hast du Bjørn Holm geschlagen?«
    Harry drehte sich um, um ins Haus zu gehen, aber sie war schneller, nahm die Treppe in zwei Sätzen und schob sich zwischen ihn und die Tür. Ihr Atem ging schnell und legte sich warm auf sein Gesicht.
    »Erst als dir aufging, dass er unschuldig ist, hast du zugeschlagen. Wieso?«
    »Geh jetzt, Kaja.«
    »Ich gehe nicht!«
    Harry sah sie an. Wusste, dass er nicht erklären konnte, wie unerwartet schmerzhaft es gewesen war, als er alles begriffen hatte. Schmerzhaft genug, um einfach zuzuschlagen, in das verdutzte, unschuldige Mondgesicht, sein eigenes Spiegelbild naiver Gutgläubigkeit.
    »Was willst du wissen?«, fragte er und hörte das Metall, fühlte die rasende Wut, die sich in seine Stimme drängte. »Ich habe dir wirklich vertraut, Kaja. Bleibt mir nur, dir zu gratulieren. Gratuliere zum perfekt ausgeführten Job. Würdest du jetzt bitte aus dem Weg gehen?«
    Er sah, wie sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten. Dann trat sie einen Schritt zur Seite, und er taumelte an ihr vorbei nach drinnen und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Er blieb in dem stummen Vakuum stehen, das sich nach dem Knallen der Tür ausgebreitet hatte, der jähen Stille, der Leere, dem seligen Nichts.

KAPITEL 4 7
     
    Angst im Dunkeln
     
    O lav Hole blinzelte mit den Augenlidern und starrte ins Dun kel.
    »Bist du das, Harry?«
    »Ja.«
    »Es ist Nacht, nicht wahr?«
    »Ja. Nacht.«
    »Wie geht es dir?«
    »Ich lebe.«
    »Lass mich das Licht einschalten …«
    »Nicht nötig. Ich will dir nur etwas erzählen.«
    »Den Ton kenne ich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es hören will.«
    »Morgen wirst du es eh in der Zeitung lesen.«
    »Und du willst mir eine andere Version erzählen?«
    »Nein, ich will nur der Erste sein.«
    »Hast du getrunken, Harry?«
    »Willst du es hören?«
    »Dein Großvater hat getrunken. Ich habe ihn geliebt. Egal ob betrunken oder nüchtern. Das sagen sicher nicht viele über einen besoffenen Vater. Nein, ich will es nicht hören.«
    »Hm.«
    »Und das Gleiche kann ich auch über dich sagen. Ich liebe dich. Habe dich immer geliebt. Betrunken wie nüchtern. Und es ist mir nie schwergefallen. Obwohl du immer so streitbar warst. Ständig mit irgendwem im Krieg, und immer mit dir selbst. Aber wirklich, dich zu lieben war das Einfachste, was ich getan habe, Harry.«
    »Papa …«
    »Wir haben keine Zeit, über unwichtige Sachen zu reden, Harry. Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählt habe, ich glaube schon, aber manche Dinge denken wir so oft und so intensiv, dass wir sicher sind, sie längst laut ausgesprochen zu haben. Ich war immer stolz auf dich, Harry. Habe ich dir das oft genug gesagt?«
    »Ich …«
    »Ja?« Olav Hole lauschte ins Dunkel. »Weinst du, Junge? Das ist in Ordnung. Weißt du, was mich am meisten mit Stolz erfüllt hat? Ich habe dir das nie erzählt, aber einer deiner Lehrer hat mich mal angerufen, als du noch in der Mittelstufe warst. Er hat mir berichtet, du wärest wieder in eine Prügelei verwickelt gewesen. Mit zwei größeren Jungs aus der Klasse über dir, dieses Mal sei es aber nicht so gut ausgegangen, sie hätten dich in die Ambulanz bringen müssen, um deine Lippe zu nähen und dir einen Zahn zu ziehen. Erinnerst du dich noch? Ich habe dir damals das Taschengeld gestrichen. Aber egal, später hat mir Øystein von dieser Prügelei erzählt. Dass du dich auf die Jungen gestürzt hättest, weil sie Holzschuhs Rucksack mit Wasser aus dem Springbrunnen auf dem Schulhof gefüllt hatten. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, mochtest du diesen Holzschuh nicht einmal richtig. Øystein sagte,

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