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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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du hättest dir deine Blessuren nur deshalb zugezogen, weil du einfach nicht aufgegeben hast, sondern immer wieder aufgestanden bist, bis du irgendwann so blutig warst, dass die Großen von sich aus aufgehört haben.« Olav Hole lachte still. »Damals konnte ich dir das nicht sagen, das wäre sonst ja wie eine Aufforderung zu weiteren Prügeleien gewesen. Aber ich war so stolz auf dich, dass ich fast lachen musste. Du warst so mutig, Harry. Du hattest Angst im Dunkeln, gingst aber trotzdem hinein. Ich war der stolzeste Vater der ganzen Welt. Habe ich dir das jemals gesagt, Harry? Harry? Bist du noch da?«
     
    Frei. Die Champagnerflasche zersplittert an der Wand, und Blasen und Schaum rinnen wie kochende Gehirnmasse an der Tapete hinab, über Bilder und Zeitungsausschnitte und den Aus druck aus dem Internet mit dem Bild von Harry Hole, der die ganze Schuld auf sich nimmt. Frei, frei von Schuld. Frei, die Welt erneut zum Teufel zu jagen. Ich trete auf die Glasscherben, höre das Knirschen und drücke sie in den Boden. Ich habe nackte Füße. Rutsche in meinem eigenen Blut aus. Heule vor Lachen. Frei. Frei!

KAPITEL 48
     
    Hypothese
     
    D er Leiter der Mordkommission des Polizeidistrikts Sydney South, Neil McCormack, strich sich die schütteren Haare nach hinten und studierte die Frau mit der Brille, die ihm gegenüber am Tisch des Verhörraums saß. Sie war direkt aus dem Verlag gekommen, in dem sie arbeitete. Sie trug ein schlichtes, leicht zerknittertes Kostüm, aber trotzdem hatte Iska Peller etwas an sich, das ihn vermuten ließ, dass ihre Kleider teuer waren, wahrscheinlich nur nicht dafür bestimmt, einfache Seelen wie ihn zu beeindrucken. Die Adresse, wo sie wohnte, deutete hingegen auf keinen großen Reichtum. Bristol war nicht gerade der mondänste Stadtteil Sydneys. Sie wirkte erwachsen und abgeklärt. Definitiv nicht der Typ, der aus allem ein Drama machte, ständig übertrieb und nach Aufmerksamkeit gierte. Sie war nicht von sich aus zur Polizei gegangen. Er schaute auf die Uhr. McCormack hatte eine Verabredung mit seinem Sohn. Am Nachmittag wollten sie draußen in der Watson Bay, wo ihr Boot lag, segeln. Er hatte deshalb gehofft, die Befragung würde schnell gehen. Es war auch alles perfekt gelaufen, bis zu ihrer letzten Antwort.
    »Frau Peller«, sagte McCormack, lehnte sich zurück und faltete die Hände auf seinem imposanten, halbkugelförmigen Bauch. »Warum haben Sie das nicht früher erwähnt?«
    Sie zuckte mit den Achseln: »Warum sollte ich? Es hat mich ja niemand gefragt, und ich sehe auch keinen Zusammenhang mit dem Mord an Charlotte. Wenn Sie nicht so nach Details gefragt hätten, hätte ich das gar nicht erwähnt. Sie wollten wissen, was in der Hütte passiert ist, und nicht … was sich hinterher zu getragen hat. Und mehr war es wirklich nicht. Eine kleine Episode, schnell überstanden und genauso schnell wieder vergessen. Solche Idioten wie ihn gibt es doch überall. Die kann man doch nicht alle strafrechtlich verfolgen.«
    McCormack brummte. Natürlich hatte sie recht. Und eigentlich hatte er keine Lust, der Sache nachzugehen. Es bedeutete nur Ärger, Unannehmlichkeiten und viel Arbeit, wenn die Person, um die es ging, das Wort »Polizei« in der Berufsbezeichnung führte. Er sah aus dem Fenster. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser im Port Jackson, und über Manly war noch immer Rauch am Himmel zu erkennen, obwohl bereits mehr als eine Woche vergangen war, seit der letzte Buschbrand der Saison gelöscht worden war. Der Rauch trieb nach Süden. Leichter, warmer Nordwind. Perfekt fürs Segeln. McCormack hatte Harry Hole gemocht. Oder Holy, wie er den Norweger genannt hatte. Er hatte damals gute Arbeit geleistet, als er ihnen bei den Ermittlungen in diesem großen Clownsmörderfall zur Seite gestanden hatte. Aber der lange, dünne Norweger hatte sich am Telefon ziemlich müde angehört, und McCormack hoffte inständig, dass Holy nicht wieder aus der Spur geraten war.
    »Lassen Sie uns noch einmal ganz von vorne anfangen, Fräulein Peller.«
     
    Mikael Bellman betrat den Sitzungsraum Odin, in dem die Gespräche sofort verstummten. Er ging zum Rednerpult, legte seine Notizen vor sich, steckte den USB -Anschluss in den PC und stellte sich breitbeinig hin. Die Ermittlungsgruppe umfasste 36 Personen, dreimal so viele wie bei normalen Mordermittlungen. Sie arbeiteten nun schon so lange ohne ein echtes Resultat an diesem Fall, dass er sie zwischendurch moralisch aufpäppeln musste, aber im Großen

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