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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Marsch an die Macht. Das Gewicht sank, und die Wählbarkeit stieg.
    Sie hörte ein Knirschen hinter sich im Kies und streckte instinktiv den Rücken. Ihr Puls beschleunigte sich. Genau das gleiche Geräusch hatte sie schon einmal drei Tage zuvor gehört, als sie hier joggen war. Und das Mal davor. An beiden Tagen war ihr jemand fast zwei Minuten lang gefolgt, ohne sie zu überholen, ehe das Geräusch verschwunden war. Beim letzten Mal hatte Marit sich umgeblickt und einen schwarzen Jogginganzug mit Kapuze entdeckt, als trainierte hinter ihr ein Kommando soldat. Mal abgesehen davon, dass niemand, und ganz gewiss kein Kommandosoldat, auf die Idee kommen würde, so langsam wie Marit Olsen zu laufen.
    Natürlich war sie sich nicht sicher, dass es sich um dieselbe Person handelte, aber der Klang der Schritte ließ das vermuten. Die Steigung zum Monolithen war fast geschafft, danach ging es nur noch bergab in Richtung ihrer Wohnung in Skøyen, zurück zu ihrem Mann und dem beruhigend hässlichen, überfütterten Rottweiler. Die Schritte kamen näher, und plötzlich war es gar nicht mehr so toll, dass es zehn Uhr abends und der Park menschenleer war. Marit Olsen fürchtete sich vor vielen Dingen, am meisten aber vor Ausländern. Sie wusste natürlich, dass ihre Furcht vor Fremden im Widerspruch zu ihrem Parteiprogramm stand, aber zu fürchten, was fremd war, war trotz allem eine vernünftige Überlebensstrategie. In diesem Moment wünschte sie sich jedenfalls, gegen all die einwandererfreundlichen Gesetzesvorlagen gestimmt zu haben, die ihre Partei jemals vorgelegt hatte, und dass sie noch häufiger frei von der berüchtigten Leber weg geredet hätte.
    Ihr Körper kam einfach viel zu langsam vorwärts, ihre Oberschenkelmuskeln brannten, die Lunge schrie nach Sauerstoff, und sie spürte, dass ihre Beine ihr bald den Dienst versagten und sie keinen Schritt mehr würde tun können. Ihr Hirn versuchte, gegen die Angst anzukämpfen und sich einzureden, dass sie nicht gerade das klassische Vergewaltigungsopfer war.
    Die Furcht trug sie nach oben, bis sie von der Anhöhe auf die Madserud allé blicken konnte. Aus einer der Einfahrten setzte ein Auto zurück. Sie konnte es schaffen, bis dorthin waren es nur etwa hundert Meter. Marit Olsen bog vom Weg ab und rannte über das nasse Gras den Hang hinunter. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich auf den Beinen zu halten. Die Schritte hinter sich hörte sie nicht mehr, alle Geräusche wurden von ihrem eigenen Keuchen übertönt. Das Auto hatte die Straße erreicht und das Getriebe gab ein hässliches Geräusch von sich, als der Fahrer den Gang einlegte. Marit Olsen hatte den Fuß des Hanges erreicht, es waren nur noch wenige Meter bis zum rettenden Licht der Scheinwerfer auf der Straße. Ihr beachtliches Körpergewicht hatte auf dem Gefälle einen gewissen Vorsprung herausgearbeitet und zwang sie jetzt unerbittlich vorwärts, bis ihre Beine ihr schließlich nicht mehr zu folgen vermochten. Sie stolperte nach vorne, auf die Straße ins Licht. Ihr in verschwitztes Polyester gehüllter Bauch klatschte auf den Asphalt, und sie glitt und kugelte noch ein Stück weiter. Dann lag Marit Olsen still da, den bitteren Geschmack des Straßenstaubs im Mund und die Hand fläche voller kleiner, brennender Steinchen.
    Jemand beugte sich über sie. Berührte sie an der Schulter. Sie wälzte sich stöhnend auf die Seite und hielt die Arme schützend vor sich. Kein Kommandosoldat, bloß ein älterer Mann mit Hut. Hinter ihm stand ein Wagen mit geöffneter Tür.
    »Alles in Ordnung, junge Frau?«, fragte er.
    »Was glauben Sie denn?«, antwortete Marit Olsen und spürte, wie die Wut in ihr hochkochte.
    »Moment mal! Ich kenne Sie doch.«
    »Das ist ja schon mal was«, sagte sie, wehrte seine helfende Hand ab und kam stöhnend wieder auf die Beine.
    »Sie sind doch die aus diesem Comedy-Programm!«
    »Darauf, Großväterchen, kannst du mal ganz schnell einen lassen«, sagte sie, starrte in das schweigende Dunkel des Parks und massierte ihre Leber.

KAPITEL 6
     
    Heimkehr
     
    E in Volvo Amazon – der letzte, der 1970 vom Band der Fabrik gelaufen war – hielt vor dem Zebrastreifen des Ankunftsterminals des Osloer Flughafens Gardermoen.
    Eine Reihe Kindergartenkinder zog in knisternden Regenanzügen vorbei. Einige der Kleinen blickten neugierig auf das alte, seltene Auto mit den Rallyestreifen auf der Motorhaube und auf die beiden Männer, die hinter den Scheibenwischern, die den morgendlichen Regen

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