Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
wegzuwischen versuchten, zu erkennen waren.
    Der Mann auf dem Beifahrersitz, Kriminaloberkommissar Gunnar Hagen, dachte, dass ihn der Anblick der Hand in Hand laufenden Kinder freuen sollte, stand er doch für Gemeinschaft, Rücksichtnahme und eine Gesellschaft, in der man aufeinander aufpasste. Hagen aber dachte unweigerlich an eine Menschenkette, die auf der Suche nach einer vermutlich ermordeten Person war. Das brachte die Arbeit als Leiter des Dezernats für Gewaltverbrechen mit sich. Oder, wie irgendein Witzbold auf Holes Bürotür gekritzelt hatte: I see dead people .
    »Was zum Teufel hat ein Kindergarten am Flughafen zu suchen?«, fragte der Mann hinterm Steuer. Er hieß Bjørn Holm, und der Amazon war sein liebster Besitz. Allein der Geruch der lärmenden, aber unheimlich effektiven Heizung, der speckigen Skaisitze und der staubigen Hutablage gaben ihm Seelenfrieden. Besonders natürlich dann, wenn dieser Geruch begleitet wurde von dem sonoren Brummen des Motors bei richtiger Drehzahl, also etwa bei 80 Stundenkilometern auf ebener Strecke, und von Hank Williams im Kassettenrekorder. Kriminaltechniker Bjørn Holm war ein Hillbilly aus Skreia, mit schlangenledernen Cowboyboots und einem Mondgesicht mit leicht hervorquellenden Augen, die ihn immer irgendwie verwundert aussehen ließen. Sein Gesichtsausdruck hatte schon viele Ermittlungsleiter in die Irre geführt. In Wirklichkeit war Bjørn Holm seit Webers Glanzzeiten das größte Talent der Kriminaltechnik. Holm trug eine weiche Wildlederjacke mit Fransen und eine gestrickte Rastamütze, unter der der kräftigste, röteste Backenbart hervorragte, den Hagen diesseits der Nordsee gesehen hatte und der fast die gesamten Wangen bedeckte.
    Holm parkte den Amazon auf einem Kurzzeitparkplatz und schaltete den Motor aus. Dann stiegen die beiden Männer aus dem Wagen. Hagen schlug den Mantelkragen hoch, was den Regen aber nicht daran hinderte, seinen blanken Schädel zu bombardieren, der von einem so dichten schwarzen Haarkranz umgeben war, dass manch einer den Verdacht hegte, Hagen habe gar keinen Haarausfall, sondern nur einen exzentrischen Friseur.
    »Sag mal, verträgt deine Jacke eigentlich Regen?«, fragte Hagen, als sie eilig zum Eingang gingen.
    »Nein«, antwortete Holm.
    Kaja Solness hatte sie im Auto angerufen und ihnen mitgeteilt, dass die SAS -Maschine aus London zehn Minuten vor der Zeit gelandet und Harry Hole ihr abhandengekommen war.
    Gunnar Hagen sah sich um, als sie in die Flughafenhalle kamen, sah Kaja am Taxischalter auf ihrem Koffer sitzen, nickte ihr kurz zu und hastete weiter in Richtung Ankunftshalle. Gemeinsam mit Holm schlüpfte er durch die Tür, als einige Passagiere herauskamen. Ein Wachmann wollte sie aufhalten, nickte aber und verbeugte sich fast, als Hagen ihm seinen Ausweis zeigte und »Polizei« bellte.
    Hagen bog nach rechts ab, ließ Zöllner und Hunde links liegen und hastete an den blanken Metalltischen vorbei, die ihn an die Seziertische der Gerichtsmedizin erinnerten, direkt zu den Kabinen dahinter.
    Er blieb so abrupt stehen, dass Holm von hinten an ihn stieß. Vor ihm zischte eine wohlbekannte Stimme durch zusammengebissene Zähne: »Hallo, Chef, sorry, dass ich gerade nicht Haltung annehmen kann.«
    Bjørn Holm schaute über die Schulter des Dezernatsleiters.
    Der Anblick, der sich ihm bot, sollte ihn noch lange verfolgen.
    Vor ihm stand, über einen Stuhl gebeugt, die lebende Legende des Osloer Polizeipräsidiums. Ein Mann, über den wohl jeder Polizist des Landes schon irgendeine verrückte Geschichte gehört und mit dem Holm bereits eng zusammengearbeitet hatte. Wenn auch nicht ganz so eng wie der männliche Zoll beamte, der seine in Latex gehüllte Hand tief zwischen den weißen Pobacken der Legende vergraben hatte.
    »Der gehört mir«, sagte Hagen zum Zöllner und wedelte mit seinem Ausweis herum. »Lassen Sie ihn gehen.«
    Der Zöllner starrte Hagen an und schien seine Suche nur ungern unterbrechen zu wollen, doch als ein älterer Zollbeamter mit goldenen Streifen auf der Schulter den Raum betrat und ihm kurz mit geschlossenen Augen zunickte, drehte der Zöllner ein letztes Mal seine Hand herum und zog sie heraus. Das Opfer stöhnte leise.
    »Zieh dich an, Harry«, sagte Hagen und wandte sich ab.
    Harry steckte seine Beine in die Hose und drehte sich zu dem Zöllner um, der sich die Latexhandschuhe abstreifte: »War’s für dich auch schön?«
     
    Kaja Solness erhob sich von ihrem Koffer, als ihre drei Kollegen

Weitere Kostenlose Bücher