Leopard
Sie ins Boot geholt. Ihnen einen Job gegeben und ein bisschen des Stolzes, den Sie verloren hatten. Er wird gewusst haben, dass Sie ihm das mit Loyalität zurückzahlen. Er kauft ein, wenn der Marktwert im Keller ist. So suchte er sich seine Bodyguards zusammen.«
Harry drehte sich zu Jussi Kolkka um. Das Gesicht des Finnen war kreideweiß.
»Sie sind gekauft, werden aber schlecht bezahlt, Jussi. Sklaven wie Sie können keinen Respekt erwarten, nicht von Massa Bellman und auch nicht von mir. Verdammt, Mann, Sie haben ja nicht einmal Respekt vor sich selbst.«
Kolkkas Gabel fiel mit einem beinahe ohrenbetäubenden Klirren auf den Teller. Er stand auf, fuhr sich mit der Hand unter die Jacke und zog seine Pistole. Er ging auf Harry zu und beugte sich über ihn. Harry rührte sich nicht, sah bloß seelenruhig zu ihm auf.
»Wollen Sie so Ihre Selbstachtung wiederfinden, Jussi? Indem Sie mich erschießen?«
Die Pupillen des Finnen zuckten vor Wut.
»Oder indem Sie verdammt noch mal Ihren Job machen?« Harry blickte wieder nach draußen über die Vidda.
Hörte Kolkkas schweren Atem. Wartete. Hörte, wie er sich umdrehte, wegging und sich ans westliche Fenster setzte.
Das Funkgerät krächzte. Harry griff danach.
»Ja?«
»Es wird bald dunkel.« Das war Bellmans Stimme. »Er kommt nicht.«
»Haltet weiter Ausschau.«
»Wonach denn? Es sind Wolken aufgezogen, und ohne Mondlicht werden wir nichts sehen …«
»Wenn wir nichts sehen, sieht er auch nichts«, sagte Harry. »Dann müsst ihr nach dem Licht einer Stirnlampe suchen.«
Der Mann hatte die Stirnlampe ausgeschaltet. Er brauchte kein Licht, er wusste genau, dass die Skispur ihn zur Touristenhütte führte. Außerdem musste er sich an das Dunkel gewöhnen, damit er große, lichtempfindliche Pupillen hatte, bis er dort war.
Plötzlich stand die schwarze Holzwand mit den dunklen Fenstern vor ihm. Als wäre niemand da. Der Neuschnee knirschte, als der Mann sich abstieß und die letzten Meter zur Hütte glitt. Er blieb stehen und lauschte ein paar Sekunden lang der Stille. Dann schnallte er lautlos seine Skier ab. Er zog das große, schwere Samenmesser mit der bootförmigen, beängstigenden Klinge und dem gelben, glattlackierten Holzschaft. Dieses Messer war ebenso gut dafür geeignet, Zweige für ein Feuer zu kappen wie ein Ren aufzubrechen. Oder jemandem die Kehle durchzuschneiden.
Der Mann öffnete die Tür, so leise er nur konnte, und trat in den Flur. Blieb stehen und lauschte an der Tür zum Wohnraum. Stille. Zu still? Er drückte die Klinke nach unten und schob die Tür mit einem Schwung auf, während er selbst mit dem Rücken an der Wand neben dem Türrahmen stehenblieb. Dann – um so kurz wie möglich als minimales Ziel zu dienen – trat er tief gebeugt und mit gezücktem Messer in den Raum.
Er erblickte den Körper des Toten, der mit hängendem Kopf auf dem Boden saß, die Arme noch immer um den Ofen geschlungen. Er steckte das Messer zurück in die Scheide und schaltete das Licht neben dem Sofa an. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es das gleiche Sofa wie in der Håvasshütte war. Sicher bekam der Fremdenverkehrsverband Mengenrabatt. Aber der Bezug war alt, die Hütte war seit Jahren geschlossen, sie lag zu gefährlich, etliche Menschen waren bei schlechtem Wetter auf der Suche nach der Hütte in eine Felsspalte oder einen Abgrund gestürzt.
Der Kopf des Toten am stählernen Ofen hob sich langsam.
»Tut mir leid, dass ich einfach so reinplatze.« Er versicherte sich, dass die Fesseln, mit denen er die Hände des Toten auf der anderen Seite des Ofens gefesselt hatte, noch richtig saßen.
Dann begann er, seinen Rucksack auszupacken. Er hatte die Mütze tief in die Augen gezogen, bevor er in den Gemischtwarenladen in Ustaoset gegangen war. Kekse, Brot und Zeitungen. Sie schrieben noch immer über die Pressekonferenz. Und über die Zeugin in der Håvasshütte.
»Iska Peller«, sagte er laut. »Australierin. Sie ist in der Håvasshütte. Was meinst du? Hat sie etwas gesehen?«
Die Stimmbänder des Toten vermochten kaum die Luft in Schwingung zu versetzen: »Polizei. Polizei in der Håvasshütte.«
»Das weiß ich doch. Steht in der Zeitung. Ein Beamter.«
»Die sind da. Die Polizei hat die Hütte gemietet.«
»Aha?« Er sah den Toten an. Hatte die Polizei ihm eine Falle gestellt? Und versuchte dieses Schwein, das da vor ihm saß, tatsächlich, ihm zu helfen, um so seine erbärmliche Haut zu retten? Der Gedanke machte ihn wütend. Aber die Frau
Weitere Kostenlose Bücher