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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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musste doch etwas gesehen haben, andernfalls hätten sie sie wohl kaum aus Australien hierhergeholt? Er griff nach dem Schürhaken. »Mein Gott, wie du stinkst. Hast du etwa in die Hose ge macht?«
    Der Kopf des Toten fiel wieder auf seine Brust.
    Allem Anschein nach war er hier eingezogen. In den Schubladen waren ein paar persönliche Dinge von ihm. Ein Brief. Das eine oder andere Werkzeug. Ein paar alte Familienbilder. Sein Pass. Als wäre der Tote auf der Flucht, an einen anderen Ort. Einen anderen Ort als die Flammenhölle, in der er für seine Sünden büßen sollte. Obwohl der Gedanke, dass der Tote vielleicht doch nicht für all das Übel verantwortlich war, ihn gestreift hatte. Es gab Grenzen, wie viel Schmerzen ein Mensch ertragen konnte, bevor er zu reden begann.
    Er überprüfte erneut sein Telefon. Kein Netz. Verdammt!
    Dieser Gestank! Er sollte ihn im Vorratshaus zum Trocknen aufhängen. So machte man das doch mit geräuchertem Fleisch.
     
    Kaja war in ihr Schlafzimmer gegangen, und Harry hoffte, dass
    sie ein bisschen schlafen konnte, bevor ihre Wache begann.
    Kolkka goss Kaffee in seine und dann in Harrys Tasse.
    »Danke«, sagte Harry und starrte ins Dunkel.
    »Holzskier«, sagte Kolkka, der am Kamin stand und Harrys Skier unter die Lupe nahm.
    »Sind von meinem Vater«, antwortete Harry. Er hatte die Skiausrüstung in Oppsal im Keller gefunden. Die Stöcke waren neu und aus irgendeiner Metalllegierung, die weniger als Luft wog. Harry hatte einen Moment lang überlegt, ob der Hohlraum des Stocks vielleicht mit Helium gefüllt war. Aber die Skier waren noch immer die alten, breiten Fjellskier.
    »Als ich klein war, haben wir jedes Jahr Ostern in Großvaters Hütte in Lesja verbracht. Meinen Vater zog es immer wieder auf diesen Gipfel, und deshalb hat er meiner Schwester und mir jedes Mal erzählt, dass da oben ein Kiosk ist, der Pepsi-Cola verkauft. Das war Søs’ absolutes Lieblingsgetränk. Nur noch die letzte Steigung, dann …«
    Kolkka nickte und fuhr mit der Hand über die Unterseite von einem der weißen Skier. Harry trank einen Schluck frischgebrühten Kaffee.
    »Søs vergaß es jedes Mal von den einen Osterferien bis zu den nächsten und fiel immer wieder auf den gleichen alten Trick rein. Ich wünschte mir, ich könnte das auch. Aber ich habe alles behalten, was mein Vater mir jemals gesagt hat. Die Verhaltensmaßregeln im Gebirge, wie man die Natur als Kompass nutzt und wie man in einer Lawine überlebt. Die Reihenfolge der norwegischen Könige, der chinesischen Dynastien und der amerikanischen Präsidenten.«
    »Das sind gute Skier«, sagte Kolkka.
    »Ein bisschen zu kurz.«
    Kolkka setzte sich am anderen Ende des Raums ans Fenster. »Tja, damit rechnet man wirklich nicht, dass die Skier des eigenen Vaters mal zu kurz für einen sein könnten.«
    Harry wartete. Wartete. Und dann war es so weit.
    »Ich fand sie so schön«, sagte Kolkka. »Und ich dachte, sie mochte mich auch. Lächerlich. Ich habe nur meine Hand auf ihre Brust gelegt. Und sie hat keinen Widerstand geleistet. Hatte wohl Angst.«
    Harry gelang es, dem Drang nachzugeben, einfach aus dem Raum zu gehen.
    »Es stimmt«, fuhr Kolkka fort. »Man ist loyal dem gegenüber, der einen aus der Scheiße geholt hat. Auch wenn man das Gefühl hat, ausgenutzt zu werden. Was kann man sonst machen? Man muss sich für eine Seite entscheiden.«
    Als Harry verstand, dass das alles gewesen war, erhob er sich und ging in die Küche. Er durchsuchte alle Schränke in dem verzweifelten Versuch zu finden, was nicht da war, und das wusste er genau. Ein verzweifeltes Ablenkungsmanöver für denjenigen, der in seinem Kopf hockte und brüllte: »Ein Drink, bloß einer!«
     
    Das war seine Chance. Seine einzige. Das Gespenst hatte die Fesseln gelöst, ihn hochgehoben, über den Gestank geschimpft und ihn ins Bad gestoßen, wo er ihn auf den Boden der Dusche geschubst und das Wasser aufgedreht hatte. Eine Weile war das Gespenst stehengeblieben, hatte ihm zugesehen und dabei zu telefonieren versucht. Dann hatte es fluchend den Raum verlas sen und war ins Wohnzimmer gegangen, um es allem Anschein nach dort noch einmal zu probieren.
    Er wollte weinen. Er war hierher geflohen, hatte sich hier versteckt, damit niemand ihn fand. In der alten Touristenhütte. Hatte mitgenommen, was er brauchte, und sich zwischen all den Abgründen sicher gefühlt. Sicher vor dem Geist. Er weinte nicht. Denn als das Wasser durch seine Kleider drang und die Fetzen des roten

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