Leopard
Decke der Schneehöhle tropfte, die sie sich in den Hang gegraben hatten.
Die Pressekonferenz war von den Medien derart breitgetreten worden, dass man schon ein aktives Desinteresse an den Tag legen musste, um nicht irgendwie mitzubekommen, dass Iska Peller und ein Polizist auf dem Weg in die Håvasshütte waren. In regelmäßigen Abständen gingen Kaja und Kolkka nach draußen, gestikulierten und zeigten auf die Hütte, den Weg, den sie gekommen waren, und in Richtung Klohäuschen. Kaja in der Rolle der Iska Peller, Kolkka in der des einsamen Ermittlers, der ihr helfen sollte, die Geschehnisse jener schicksalsträchtigen Nacht zu rekonstruieren. Harry hielt sich in der Hütte versteckt. Auch seine Skier und Stöcke hatte er mit hineingenommen, so dass draußen nur die der beiden anderen sichtbar im Schnee steckten.
Harry sah einer Böe nach, die über die kahle Vidda strich und den lockeren Neuschnee, der in der Nacht gefallen war, aufwirbelte und vor sich hertrieb, bis er an irgendeiner Kuppe, einer Kluft, einem Hang oder einer Unebenheit in der Landschaft in welligen Formationen und großen Wächten erstarrte. Auch vom Berggipfel direkt hinter der Hütte ragte eine solche Wächte wie eine Hutkrempe über den Abhang.
Natürlich war Harry sich bewusst, dass es mehr als fraglich war, ob der Mann, den sie jagten, sich wirklich zeigen würde. Vielleicht stand Iska Peller aus irgendeinem Grund nicht auf sei ner Todesliste, vielleicht war ihm die Situation nicht geheuer, oder er hatte ganz einfach andere Pläne mit ihr. Vielleicht hatte er aber auch Lunte gerochen. Daneben gab es noch banale Gründe. Er konnte verreist sein, krank …
Egal. Hätte Harry all die Male zusammengezählt, die seine Intuition ihn getäuscht hatte, würde er sich wahrscheinlich nie wieder auf seine Intuition verlassen. Aber er hatte nicht gezählt. Dafür erinnerte er sich umso besser an all die Gelegenheiten, bei denen ihn seine Intuition auf etwas gestoßen hatte, von dem er zuvor nicht geahnt hatte, dass er es bereits wusste. Jedenfalls sagte ihm seine Intuition, dass der Täter auf dem Weg zur Håvasshütte war. Harry sah noch einmal auf die Uhr. Sie hatten ihm zwanzig Stunden gegeben. Das Kiefernholz knackte und knisterte hinter dem feinmaschigen Drahtnetz vor dem überdimensionalen Kamin. Kaja hatte sich in einem Schlafraum etwas hingelegt, während Kolkka am Tisch im Wohnraum saß und seine demontierte Weilert P11 ölte. Harry erkannte die deutsche Waffe an dem fehlenden Korn. Die Weilert-Pistolen waren reine Nahkampfwaffen. Man musste sie schnell aus dem Halfter, dem Gürtel oder dem Hosenbund ziehen können, und mit einem glatten Lauf war das Risiko, sich irgendwo zu verhaken, geringer. In solchen Situationen war das Zielkorn ohnehin überflüssig; man richtete die Waffe auf das Objekt und schoss, man zielte nicht. Die Reservepistole, eine SIG Sauer, lag montiert und geladen daneben. Harry spürte das Schulterhalfter seiner eigenen Smith & Wesson .38 an der Haut über seinen Rippen scheuern.
Sie waren in der Nacht mit dem Helikopter ein paar Kilometer entfernt am Neddalsvannet gelandet und von dort aus per Ski zur Hütte gelaufen. Unter anderen Umständen hätte Harry vielleicht die Schönheit der schneebedeckten Vidda im Mondlicht zu schätzen gewusst und die Polarlichter bewundert, die über den Himmel zuckten. Oder Kajas beinahe seligen Gesichtsausdruck bemerkt, als sie wie durch ein Märchen durch die weiße Stille glitten, in der es so vollkommen ruhig war, dass Harry geglaubt hatte, das Gleiten der Skier müsse kilometerweit zu hören sein. Aber es stand zu viel auf dem Spiel für ihn, als dass er das alles hätte genießen können, er konnte es sich nicht leis ten, etwas zu übersehen, so dass er nur Augen für die Arbeit, die Jagd gehabt hatte.
Harry selbst war es gewesen, der Kolkka in die Rolle des begleitenden Ermittlers gedrängt hatte. Nicht weil er den Vorfall im Justisen vergessen hatte, sondern weil er sich ausgerechnet hatte, dass ihnen – sollte nicht alles nach Plan laufen – die Nahkampferfahrung des Finnen von Nutzen sein konnte. Er hoffte, dass der Täter es tagsüber versuchen würde und von einer der Gruppen überwältigt wurde, die draußen im Schnee lauerten. Doch wenn er nachts kam und erst entdeckt wurde, wenn er vor der Hütte stand, mussten die drei die Situation allein meistern.
Kaja und Kolkka schliefen in verschiedenen Schlafräumen, Harry in der Stube. Der Morgen war ohne viel unnötiges
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