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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Reviermarkierungsinstinktes? Oder … Harry schoss durch den Kopf, dass ihn gar nicht das Gebäude anzog, gegen das er gerade pinkelte, sondern das, dem er den Rücken zukehrte. Das Vorratshaus. Er fühlte sich beobachtet. Er knöpfte die Hose zu, drehte sich um und sah sich das Gebäude mit dem spitzen Giebel an. Dann setzte er sich in Bewegung und ging darauf zu. Als er an dem verschneiten Scooter vorbeikam, griff er nach dem Spaten. Eigentlich hatte er vorgehabt, direkt hineinzugehen, blieb dann aber vor der Steintreppe, die zu der niedrigen Tür führte, stehen. Lauschte. Nichts. Was war das? Da war niemand. Er stieg die Stufen hoch und wollte die Hand auf den Türgriff legen, aber sie gehorchte ihm nicht. Verdammt, was war denn los? Sein Herz hämmerte so, als wollte es den Brustkorb sprengen. Es tat weh. Er schwitzte, und sein Körper verweigerte sich seinen Befehlen. Nur ganz langsam wurde ihm bewusst, was los war. Er hatte eine Panikattacke. Seine Wut kam ihm schließlich zu Hilfe. Er trat mit voller Wucht gegen die Tür und stürmte ins Dunkel der Kammer. Es roch streng nach Fett, Rauch, Fleisch und geronnenem Blut. Dann nahm er eine Bewegung in dem dünnen Streifen Mondlicht wahr, der durch den Türspalt hereinfiel, ein Augenpaar funkelte ihn an. Harry schwang den Spaten. Und traf. Hörte das dumpfe Klatschen auf Fleisch, merkte, wie es nachgab. Die Tür ging ein Stück weiter auf, und der Lichtstreifen wurde breiter. Harry starrte entgeistert auf den erlegten Hirsch, der vor ihm hin und her schwang. Und auf die anderen Tierkörper. Er ließ den Spaten fallen, sank auf die Knie, und plötzlich kam alles hoch, alles auf einmal. Die eingedrückte Wand, die Schneemassen, die ihn lebendig begruben, die Panik, keine Luft mehr zu bekommen, das lange Ringen um Luft in purer, weißer Angst, als er auf die schwarzen Felsen zustürzte. So einsam. So verlassen von allen. Sein Vater lag im Respirator, im Transit. Rakel und Oleg waren Silhouetten im Gegenlicht eines Flugplatzes, ebenfalls im Transit. Harry wollte zurück. Zurück in die tropfende Höhle. Zwi schen die soliden, feuchten Wände und auf die verschwitzte Matratze. Zurück zu dem süßlichen Rauch, der ihn dorthin brachte, wo sie waren. Transit. Harry neigte den Kopf und fühlte heiße Tränen über sein Gesicht laufen.
     
    Ich habe ein Bild von Jussi Kolkka von der Internetseite des Dagbladet ausgedruckt und es an die Wand neben die anderen geheftet. In den Nachrichten haben sie kein Wort über Harry Hole und die anderen Polizisten gesagt, die dort waren. Oder Iska Peller. War das nur ein Bluff? Wenigstens geben sie sich Mühe. Und jetzt der tote Polizist. Sie werden sich noch mehr Mühe geben. Mühe geben müssen. Hörst du, Hole? Nein? Das solltest du aber, ich bin dir so nah, dass ich es dir ins Ohr flüstern könnte.

TEIL VI I

KAPITEL 64
     
    Zustand
     
    O lav Holes Zustand sei unverändert, hatte Dr. Abel gesagt.
    Harry saß am Bett seines Vaters und musterte das unveränderte Gesicht, während die Herz-Rhythmus-Maschine ein Plipp-Plopp-Lied mit Unterbrechungen spielte. Sigurd Altman kam herein, grüßte und übertrug Zahlen vom Display der Maschine auf einen Block.
    »Ich bin eigentlich hier, um Kaja Solness zu besuchen«, sagte Harry und stand auf. »Aber ich weiß nicht, auf welcher Station sie liegt. Könnten Sie …«
    »Ihre Kollegin, die letzte Nacht mit dem Rettungshubschrauber eingeliefert wurde? Sie bleibt noch auf der Intensivstation, bis die Untersuchungsergebnisse da sind. Sie war ziemlich lange unter dem Schnee. Als das Wort Håvasshütte fiel, dachte ich schon, sie ist diese Zeugin aus Sydney, von der die Polizei im Radio gesprochen hat.«
    »Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie hören, Altman. Als Kaja im Schnee lag, befand sich die Australierin in Bristol. Warm und gemütlich mit eigenen Wachleuten und einem umfassenden Zimmerservice.«
    »Moment mal«, Altman sah Harry an. »Waren Sie auch unter der Lawine?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Dieser Schritt zur Seite, den Sie gerade gemacht haben. Schwindel?«
    Harry zuckte mit den Schultern.
    »Verwirrt?«
    »Konstant«, sagte Harry.
    Altman lächelte. »Sie haben ein bisschen zu viel CO 2 eingeatmet. Der Körper baut das recht schnell wieder ab, wenn er genug Sauerstoff bekommt, aber Sie sollten sich Blut abnehmen lassen, damit wir den Kohlendioxiddruck ermitteln können.«
    »Nein danke«, antwortete Harry. »Wie läuft’s mit ihm da?« Er nickte in Richtung Bett.
    »Was sagt

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