Leopard
der Arzt?«
»Unverändert. Ich frage aber Sie.«
»Ich bin kein Arzt, Harry.«
»Und deshalb sollten Sie auch nicht wie einer antworten. Nennen Sie mir einen Zeitraum.«
»Harry, das kann ich nicht …«
»Es bleibt zwischen uns.«
Sigurd Altman sah Harry an. Wollte etwas sagen. Entschied sich um und biss sich auf die Unterlippe. »Tage«, sagte er schließlich.
»Nicht mal Wochen?«
Altman antwortete nicht.
»Danke, Sigurd«, sagte Harry und ging zur Tür.
Kajas Gesicht lag blass und schön auf dem Kissen. Wie eine Blume in einem Herbarium, dachte Harry. Ihre Hand klein und kalt in seiner. Auf dem Nachttisch lag die Aftenposten mit der Titelstory über die Håvasshüttenlawine. Der Artikel beschrieb den tragischen Lawinenabgang und zitierte Mikael Bellman, der zum Ausdruck gebracht hatte, dass der Tod Jussi Kolkkas ein großer Verlust sei. Dass er aber darüber hinaus froh sei, dass die Zeugin, zu deren Schutz Kolkka sich in der Håvasshütte befunden hatte, gerettet werden konnte und sich nun in Sicherheit befand.
»Dann wurde die Lawine also mit Dynamit ausgelöst?«, fragte Kaja.
»Daran besteht wohl kein Zweifel«, antwortete Harry.
»Und Mikael und du, ihr habt da oben gut zusammengearbeitet?«
»Klar.« Harry wandte sich ab, damit sie von seinem Husten verschont blieb.
»Ihr sollt da oben in einem Abgrund einen Schneescooter entdeckt haben? Vermutlich mit einem Toten.«
»Ja. Bellman ist in Ustaoset geblieben, um die Fundstelle mit Hilfe der Polizei vor Ort wiederzufinden.«
»Mit Krongli?«
»Nein, der ist irgendwie unauffindbar. Der andere Polizist scheint aber ein zuverlässiger Kerl zu sein. Ein gewisser Roy Stille. Die haben einiges vor sich. Wir wussten selbst kaum, wo wir waren, alles ist verschneit und verweht, und in diesem Gelände …« Harry schüttelte den Kopf.
»Eine Idee, wer der Tote sein könnte?«
Harry zuckte mit den Schultern. »Es würde mich schon wundern, wenn es nicht Tony Leike ist.«
Kaja drehte den Kopf auf dem Kissen. »Oh?«
»Ich habe das sonst noch niemandem gesagt, aber ich habe die Finger der Leiche gesehen.«
»Und was war damit?«
»Die waren ganz verkrümmt, und Tony Leike hatte Gicht.«
»Und du glaubst, er hat die Lawine ausgelöst? Und ist dann im Dunkeln in den Abgrund gefahren?«
Harry schüttelte den Kopf. »Tony hat mir erzählt, dass er sich da oben auskennt wie in seiner Westentasche. Er hat diese Gegend als seine Landschaft bezeichnet. Bei dem Unglück war das Wetter klar, und außerdem war der Scooter sehr langsam, er lag nur etwa drei Meter von der Absturzkante entfernt. Ich habe seinen verbrannten Arm gesehen, und das kann eigentlich nichts mit dem Dynamit zu tun haben. Der Scooter hat auch nicht gebrannt.«
»Was …«
»Ich glaube, Tony Leike wurde gefoltert, getötet und dann mitsamt dem Scooter in den Abgrund gestürzt, damit wir ihn nicht finden.«
Kaja schnitt eine Grimasse.
Harry rieb sich den kleinen Finger. Ob er sich eine Erfrierung geholt hatte? »Was hältst du von diesem Krongli?«
»Krongli?« Kaja zögerte. »Wenn er wirklich versucht hat, Charlotte Lolles zu vergewaltigen, müsste er eigentlich vom Dienst suspendiert werden.«
»Er hat auch seine Frau verprügelt.«
»Das wundert mich nicht.«
»Nicht?«
»Nein.«
Er sah sie an. »Verschweigst du mir irgendetwas?«
Kaja zuckte mit den Schultern. »Er ist ein Kollege, und ich habe es darauf geschoben, dass er betrunken war. Ich wollte es nicht an die große Glocke hängen. Aber ja, ich habe diese Seite von ihm durchschimmern sehen. Er ist bei mir aufgetaucht und hat mir auf eine etwas rüde Art und Weise zu verstehen gegeben, dass wir es uns gemütlich machen sollten.«
»Aber?«
»Mikael war da.«
Harry spürte irgendwo in seinem Inneren einen Stich.
Kaja schob sich im Bett hoch. »Du meinst aber nicht im Ernst, dass es Krongli gewesen sein könnte …«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass derjenige, der die Lawine ausgelöst hat, sich da oben gut auskennen muss. Krongli hatte mit den Leuten in der Håvasshütte zu tun. Außerdem hat Elias Skog vor seinem Tod erzählt, dass er da so etwas wie eine Vergewaltigung beobachtet hat. Und Aslak Krongli scheint ein potentieller Vergewaltiger zu sein.
Und dann diese Lawine. Wenn du eine Frau umbringen wolltest, die sich gemeinsam mit einem unbewaffneten Polizisten in einer einsamen Berghütte aufhält, wie würdest du das anstellen? Eine Lawine auszulösen führt nicht mit hundertprozentiger
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