Leopard
Verteidigung des Kavaliers, und wusste, dass er dadurch mehr im Rampenlicht stehen würde als je zuvor in seiner bislang schon bemerkenswerten Karriere. Das Ziel, seinen Vater als jüngsten Rechtsanwalt des Obersten Gerichtshofs aller Zeiten zu übertreffen, hatte er erreicht. Als Strafverteidiger galt er bereits mit Ende zwanzig als der neue Stern am Anwaltshimmel, als Wunderknabe. Die ungewohnte Aufmerksamkeit war ihm zu Kopf gestiegen. Als Kind hatte er als Streber gegolten, als unbeliebter Klassenprimus, der immer zu eifrig mit der Hand in der Luft wedelte, immer ein bisschen zu aufdringlich gewesen war und immer als Letzter erfahren hatte, wo am Samstag die Feste stattfanden – wenn man ihn denn überhaupt informiert hatte. Inzwischen kicherten junge Assistentinnen und Gerichtsreferendarinnen und erröteten, wenn er ihnen Komplimente machte oder sie am Abend zu einem Arbeitsessen einlud. Und umgekehrt hagelte es nur so Einladungen für Vorträge und Radio- oder Fernsehdebatten, und zu der einen oder anderen Premiere, die seine Frau so schätzte. All diese Dinge hatten in den letzten Jahren aber anscheinend zu viel seiner Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, denn er konnte einen gewissen Abwärtstrend in der Anzahl der gewonnenen Fälle, der Anzahl großer Medienauftritte und der Anzahl neuer Klienten nicht verleugnen. Es war nicht so dramatisch, dass er ernsthaft um seinen Ruf fürchten musste, aber doch so, dass ihm Sigurd Altmans Fall gerade recht kam. Er brauchte etwas Anspruchsvolles, womit er sich profilieren konnte, um dorthin zurückzukehren, wo er hingehörte: an die Spitze.
Darum saß Johan Krohn ganz ruhig da und hörte dem mageren Mann mit der runden Brille aufmerksam zu. Hörte Sigurd Altman die unglaublichste Geschichte erzählen, die ihm jemals zu Ohren gekommen war, die er ihm aber glaubte . Johan Krohn sah sich bereits im Gerichtssaal, der glänzende Rhetoriker, Agitator, Manipulator, der niemals die Gerechtigkeit aus den Augen verlor, zur Freude der Geschworenen und der Richter. Auch deshalb war er enttäuscht, als ihm klarwurde, welchen Plan Sigurd Altman verfolgte. Aber nachdem er sich selbst an die wiederholten Ermahnungen seines Vaters erinnert hatte, dass der Anwalt für den Klienten da war und nicht umgekehrt, hatte er das Mandat angenommen. Denn Johan Krohn war im Grunde seines Herzens kein schlechter Mensch.
Als Krohn das Osloer Bezirksgefängnis verließ, in das Sigurd Altman im Laufe des Tages überführt worden war, erkannte er das neue Potential in seinem Mandat, das einzigartig war. Als er in seinem Büro eintraf, rief er als Erstes Mikael Bellman an. Sie waren sich erst einmal begegnet, natürlich im Zusammenhang mit einem Mordfall, aber Johan Krohn hatte gleich gewusst, was er von Bellman zu halten hatte. Ein Falke erkennt den anderen. Nur zu gut konnte er deshalb nachvollziehen, wie Bellman sich nach den Schlagzeilen des Tages über die Festnahme durch den Dorfpolizisten fühlte.
»Bellman.«
»Johan Krohn.«
»Guten Tag, Herr Krohn.« Die Stimme klang förmlich, aber nicht unfreundlich.
»Ist das wirklich ein guter Tag für Sie? Fühlen Sie sich nicht ziemlich abgehängt auf der Zielgeraden?«
Kurze Pause. »Worum geht es, Krohn?« Verbissen. Wütend.
Johan Krohn wusste, es würde funktionieren.
Harry und Søs saßen schweigend am Bett ihres Vaters im Reichshospital. Auf dem Nachtschränkchen und zwei weiteren Tischen im Raum standen Vasen mit Blumen, die in den letzten Tagen gekommen waren. Harry hatte die Grußkarten gelesen. Auf einer stand »Mein lieber, lieber Olav«, unterzeichnet »Deine Lise«. Harry hatte noch nie etwas von einer Lise gehört, geschweige denn jemals darüber nachgedacht, dass es außer seiner Mutter noch andere Frauen im Leben seines Vaters gegeben haben könnte. Die anderen Blumen waren von Kollegen und Nachbarn, die irgendwie erfahren hatten, dass es aufs Ende zuging. Und die, obgleich sie wussten, dass er sie nicht mehr sehen konnte, ihm diese süßlich stinkenden Blumen geschickt hatten, um wiedergutzumachen, dass sie sich nicht die Zeit genommen hatten, ihn zu besuchen. Harry betrachtete die Blumen, die sich um das Bett scharten wie Aasgeier um einen Sterbenden. Schwere, hängende Köpfe auf dünnen Hälsen. Rote und gelbe Schnäbel.
»Handys sind hier nicht erlaubt, Harry!«, flüsterte Søs streng.
Harry fischte das Handy aus der Tasche und schaute aufs Display. »Tut mir leid, Søs. Es ist wichtig.«
Katrine Bratt kam gleich zur
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