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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Leute von der Spurensicherung waren einsatzbereit, sie hatten den Schneescooter und Odd Utmo nach oben gezogen. Das war eine komplizierte und zeitaufwendige Arbeit gewesen, weil man nur mit Hilfe von Seilen hinunter zu der Steinhalde gelangen konnte. Und schon das war schwierig genug.
    In der Mittagspause hatte einer der Männer zum Besten gegeben, ein Zimmermädchen des Hotels habe ihm erzählt, dass das Laken im Zimmer von Rasmus Olsen, dem Ehemann der ermordeten Stortingsabgeordneten, blutig gewesen sei, als sie das Bett abgezogen hatte. Zuerst hatte sie es für Menstruationsblut gehalten, dann aber gehört, dass Rasmus Olsen allein dort eingecheckt hatte, während seine Frau in der Håvasshütte war.
    Krongli hatte gemutmaßt, dass Olsen eine Frau aus dem Ort mit aufs Zimmer genommen hatte oder seine Frau morgens, als sie zurück nach Ustaoset kam, eine Runde Versöhnungssex mit ihm hatte, bevor er auscheckte. Der Mann beharrte aber darauf, dass man nicht sicher wisse, ob es sich um Menstruationsblut handelte.
    »Hierher!«
    Aslak Krongli wollte nach Hause. Abendessen, Kaffee, schlafen. Er wollte die ganze Scheißsache endlich hinter sich bringen. Seine Schulden in Oslo hatte er bezahlt, und er würde nie wieder dorthin fahren. Nie mehr zurück in diesen Sumpf. Diesmal würde er Wort halten.
    Sie hatten Suchhunde eingesetzt, um sicherzugehen, dass nichts, was zu Utmo gehörte, im Schnee übersehen wurde. Und plötzlich war einer der Hunde die Halde hochgelaufen und stand nun hundert Meter von ihm entfernt und bellte. Hundert steile Meter weiter oben. Aslak schätzte die Entfernung ab.
    »Ist es was Wichtiges?«, rief er, worauf eine Sinfonie aus Echos von den Wänden zurückgeworfen wurde.
    Zehn Minuten später stand er neben dem Hund und starrte auf das, was er im Schnee ausgegraben hatte. Es klemmte verkantet zwischen den Felsbrocken, so dass man es von oben nicht hatte sehen können.
    »Verdammt«, sagte Aslak. »Wer kann das sein?«
    »Jedenfalls nicht euer Tony Leike«, sagte der Hundeführer. »Man muss schon eine ganze Weile auf einer kalten Geröllhalde liegen, um zu so einem sauber abgenagten Skelett zu werden. Jahre.«
    »Achtzehn Jahre«, kam es von Roy Stille. Der Polizist war mit Verzögerung eingetroffen und atmete schwer. »Seit achtzehn Jahren liegt sie hier«, fuhr er fort, ging in die Hocke und neigte den Kopf.
    »Sie?«, fragte Aslak.
    Der Polizist zeigte auf die Hüftpartie des Skeletts. »Frauen haben eine breitere Beckenöffnung. Wir haben sie nie gefunden, nachdem sie verschwunden war. Das ist Karen Utmo.«
    Aslak Krongli hörte in der Stimme seines Kollegen etwas, das er noch nie wahrgenommen hatte. Ein Zittern. Das Zittern eines aufgewühlten Mannes. Eines trauernden Mannes. Aber sein Gesicht war wie immer unbewegt und verschlossen. Versteinert.
    »Wahnsinn, dann ist es also wahr«, sagte der Hundeführer. »Dann hat sie sich wirklich aus Trauer um ihren Sohn in den Abgrund gestürzt.«
    »Davon würde ich nicht ausgehen«, sagte Krongli. Die beiden Männer sahen ihn an. Sein kleiner Finger steckte in einem kreisrunden Loch in der Stirn des Schädels.
    »Ist das … ein Einschussloch?«, fragte der Hundeführer.
    »Ja«, sagte Stille und betastete die Rückseite des Schädels. »Und da es kein Austrittsloch gibt, nehme ich an, dass wir die Kugel im Schädel finden.«
    »Wollen wir wetten, dass die Kugel aus Utmos Gewehr stammt?«, sagte Krongli.
    »Wahnsinn«, wiederholte der Hundeführer. »Wollt ihr damit sagen, dass er seine Frau selbst umgebracht hat? Geht das denn? Man tötet doch keinen Menschen, den man liebt? Nur weil er geglaubt hat, dass sie und ihr Junge … Verdammt.«
    »Achtzehn Jahre«, sagte Stille und erhob sich stöhnend. »Noch sieben Jahre, und der Mord wäre verjährt gewesen. So was nennt man wohl Ironie des Schicksals. Da wartest du Jahr um Jahr, in ständiger Angst, entlarvt zu werden. Und dann, wenn die Freiheit in fast greifbarer Nähe ist – bumm! –, wirst du selber umgebracht und landest auf derselben Geröllhalde.«
    Krongli schloss die Augen und dachte, dass es sehr wohl möglich war, einen Menschen zu töten, den man liebt. Sehr wohl. Und nein, frei wird man niemals sein. Niemals. Er wollte sich nie wieder in diese Tiefen begeben.
     
    Johan Krohn liebte das Rampenlicht. Ohne diese Eigenschaft hätte er es nie zu einem der gefragtesten Strafverteidiger des Landes gebracht. Er hatte keine Sekunde gezögert, Sigurd Altmans Verteidigung zu übernehmen, die

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