Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
ein, daß selbst ein Nachtseiter einen höheren Status besaß als jeder Schichtarbeiter und daß das Abzeichen daher offensichtlich veraltet war. Vance meinte, daß Errat bei dem Rang, in dem er zu stehen schien, mindestens während der letzten zwanzig Jahre Gerias {31} geschluckt haben mußte.
Errat also. Wer war er? Vance hatte nie von ihm gehört. Er konnte einst gut Aufsichtsbeamter gewesen sein, aber heute mußte er mit Sicherheit mehr sein. In der Direktion? Vance bezweifelte das, soweit es die Regionale Zentrale anging, selbst wenn er sich die Neulinge ansah, die mit Parleaus Amtsantritt gekommen waren. Im kontinentalen Sekretariat? Wer konnte es wissen? Diese Leute gingen ja nie nach draußen. Von der Erscheinung her war der Besucher groß, wendig, aufrecht und flink; es gelang ihm, den Eindruck sowohl von imponierender Würde als auch von unheimlicher Entschiedenheit zu erwecken. Errat war von der Hautfarbe her dunkel und von den Haaren her kraus genug, um mehr als einen Hauch schwarzer Vorfahren gehabt zu haben, wenn Vance auch trotz des Mischprozesses, der die Jahre hindurch vor sich gegangen war, instinktiv wußte, daß Errat von einem hypothetischen afrikanischen Vorfahren genausoweit entfernt war wie Vance von einem ebenso hypothetischen nordosteuropäischen. Reine Typen gab es nicht mehr. Errats Haar war grau gesprenkelt, und mit den Jahren hatte eine harte, bestimmte, zusammengepreßte Linie den vollen, sinnlichen Mund überlagert.
Vance dachte auch über den Namen nach: Hando Errat. Ein programmierter Name. Solche hatten sich eingebürgert, seit sich die Schichtarbeitergesellschaft etabliert hatte, und waren ganz einfach nichts anderes als fließbandmäßig hergestellte Montagen von Phonemen und Wörtern, die international für alle annehmbar waren, wobei sämtliche traditionellen oder bedeutungstragenden oder selbst zweideutigen Formen gestrichen worden waren. Der ursprüngliche Zweck der programmierten Namen war der gewesen, den Leuten die Möglichkeit zu bieten, sich ohne jeglichen Bezug auf bekannte nationale, ethnische, sprachliche oder religiöse Angelegenheiten benennen zu können. Man brauchte einen Namen, aber der Name mußte nicht unbedingt etwas bedeuten, was über eine schlichte persönliche Signatur hinausging. Namensänderungen waren nichts Neues; ganze Wellen davon waren zusammen mit neuen Bewegungen aufgetaucht und hatten neue Pflichten und neue Bindungen signalisiert. Aber die programmierten Namen waren gekommen und nicht wieder gegangen. Sie waren geblieben. Und selbst jetzt signalisierten sie, wenn sie überhaupt etwas signalisierten, die Pflicht zur kalten Effizienz, Nützlichkeit und alles vereinenden Kraft des IPR, des Ideals der Planetarischen Regierung, nach welchem täglich gestrebt, das aber den Entlassungen nach zu urteilen nie ganz erreicht wurde. Es mochte vielleicht einmal Flickwerk gewesen sein; aber jetzt war es aus einem Guß.
Aber jetzt? Seit langem schienen die Träger programmierter Namen etwas gegen diejenigen zu haben, die ihre alten Namen mit den ihnen anhaftenden Rückständen älterer Bindungen bewahrt hatten, und praktisch alle Schlüsselpositionen waren mit solchen Personen besetzt, denn Vance war davon überzeugt, daß es viele Karrieristen gab, die sie lediglich deswegen annahmen, um in der Schichtarbeitergesellschaft Punkte zu sammeln.
Vance registrierte jetzt die Anwesenheit seines Besuchers: „Ja, Bürger Errat?“
Errat antwortete höflich. „Bürger Vance, Sie sind früh des Morgens bei der Arbeit, wie ich sehe; oder sind Sie spät dran, wie es in meinem eigenen Zeitbezug der Fall wäre?“ Errats Stimme war tief und klangvoll, aber in der Intonation sorgfältig neutral. Und äußerst beherrscht; sie zeigte nichts außer dem, was Errat zu zeigen wünschte. Vance verspürte so etwas wie Furcht; dieser Mann bedeutete für eine bestimmte andere Person nichts Gutes.
Vance erwiderte: „Es ist früh. Wie Sie sehen, bin ich Tagseiter.“ Vance hoffte, daß seine Stimme ebenso ausgeglichen herauskäme wie die Errats. Errat spielte offensichtlich mit ihm, denn er wußte wegen Vances gelbbrauner Kleidung nur zu gut, daß Vance Tagseiter war. Es war nichts als ein Spiel mit dem Status. Vance zog es vor, den Köder zu ignorieren und es auf einen emotionalen Kampf mit Errat ankommen zu lassen, um zu beweisen, daß er selbst angesichts einer ins Ungewisse steuernden Karriere, eines traditionalistischen Namens trotzdem jemand war, mit dem man rechnen
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