Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
Vergangenheit, dachte er. Daher ist es nicht so eklatant, wie es scheint. Es ist keine Einladung, nur eine Mahnung. Als ob einer von uns je vergessen könnte.
Er hatte nicht vergessen: Sanjir-Ajimi war heiß und verschwitzt gewesen, beißend wie der Geruch von brennenden Blättern, nassem Holz, und ihre Haut hatte selbst nach dem Waschen den schwachen Geschmack von Salz behalten. Er hatte ihren Geruch aufgefangen, als sie an ihm vorbeigegangen war: herb und gebieterisch, rauchig wie immer, noch stärker. Zum ersten Mal in seinem Leben ertappte er sich dabei, wie er zugeben mußte, daß er doch ein wenig Bedauern über den Lauf der Dinge empfand. Morlenden blickte für einen Augenblick auf sein Leben zurück, ganz rasch, und er erkannte, was Sanjirmil für ihn gewesen war: ein letztes dhainaz, auf jeden Fall auf körperlichem Gebiet. Und auf wie vielen anderen Gebieten, die er versäumt hatte? Was war es, was sie ihm bot?
Sanjirmil ließ sich sanft auf der Kante dessen, was ihr Bett sein würde, nieder, ein wenig erschöpft, steif, wie nach einem langen Spaziergang. Sie fragte halb spöttisch: „Und was machst du hier, Ser Deren?“ Sie lehnte sich auf den Ellenbogen zurück und ließ zu, daß sich ihr Unterhemd am Hals noch etwas weiter öffnete, noch eine alte List, die Morlenden nicht entgehen konnte; und im Kerzenschimmer fiel das warme Licht über ihre dunkelolivfarbene Haut, warf Schatten in die Gruben ihres Schlüsselbeins, ein Platz für Küsse.
Er antwortete vorsichtig, indem er versuchte, den Schein der Neutralität zu wahren, irgendeinen Hauch von Verschwiegenheit, ein sinnloses Unterfangen, das wußte er, gegenüber dieser unglaublichen Bewahrerin von Geheimnissen. Er sagte: „Wenig genug. Ich habe nach dem Bilde von der gesucht, welche wir finden müssen, damit wir um so besser wüßten, wo wir sie zu suchen hätten. Ich war auf dem Weg nach Hause, wurde vom Regen überrascht und stieß zufällig auf diese Hütte.“
„Du hast also die, nach der ihr sucht, noch nicht gefunden.“
„Nein. Wir hatten auch nicht damit gerechnet. Wir wollten zunächst begreifen, wer sie ist, was sie ist. Oder besser gesagt, war. Fellirian forscht in der anderen Richtung nach, drüben beim Institut bei ihren Bekannten. Wir glauben, daß sie noch am Leben ist. Zumindest gehen wir so vor, als sei sie es noch.“
„Du wirst ihretwegen nach draußen gehen?“
„Natürlich.“
„Warum? Wenn du herausfindest, wo sie ist, kannst du es der Perwathwiy melden, und damit wäre die Sache für dich erledigt.“
„Warum? Das ist eine Sache der Ehre, würde ich meinen. Wir sagten, daß wir sie zurückbringen würden, wenn dies in unserer Macht stünde. Es gibt jedoch immer noch vieles, was wir nicht wissen. Wenn sie noch lebt, in welcher Verfassung sie dann ist.“ Er wechselte das Thema, da er bei dem Thema Maellenkleth etwas Bedrückendes empfand. „Und du, Sanjir, was machst du hier, an diesem Ort des Schweigens? Kommst du vielleicht auch aus dem Regen, so wie ich?“
Sie antwortete nicht sofort, sondern sah mit diesem alten, ausdruckslosen Blick, den sie an sich hatte, in die Ferne und wandte ihn nach und nach Morlenden zu. Ja, die Augen, dunkel, mit schweren Wimpern, weindunkel; sie hatten immer noch diese unheimliche Fähigkeit des prüfenden Tastens, aber jetzt war in ihnen auch eine gezügelte Unmittelbarkeit, und sie sandten Blitze und Feuer aus, wenn sie sich auf etwas konzentrierte. Aber im Moment waren sie weit weg und sahen etwas, das Morlenden nicht kannte. Sie sagte nach einer Weile: „Wir treffen uns oft hier, unsere Gruppe. Es ist ein ausgezeichneter Ort, um geheime Pläne zu besprechen, denn die, die hier wohnen, sprechen nie von dem, was sie hören oder sehen … Mit den Jahren habe ich ihn liebgewonnen, diesen Ort, und komme manchmal auch allein hierher. Und ich hatte Sorgen, und daher kam ich, um Einsamkeit und Frieden zu suchen, Morlenden. Ich weiß, daß ich ihn nicht in mir habe, aber ich würde ihn gern einmal erleben, und sei es auch nur, um ihn abzulehnen.“
Sie verstummte wieder und kaute an der Innenseite ihrer Unterlippe. An diesem Abend waren ihre Lippen blaß und farblos, heller als ihr Gesicht, was ihr ein merkwürdiges, geisterhaftes Aussehen verlieh. Das hellere Blaßrot ihres Mundes gegen das dunkle Oliv ihres Gesichts. Dann wandte sie sich ihm plötzlich zu und fixierte ihn mit einem durchdringenden und unangenehmen Blick und sagte: „Du bist wirklich sehr gründlich bei dieser
Weitere Kostenlose Bücher