Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
Richtung auf und begann mühsam den Aufstieg zu den oberen Stockwerken.
Auf dem ersten Stock war ein schmaler Gang, der durch dicke, langsambrennende Kerzen erleuchtet war, die auf Haltern aus schwarzem Eisen steckten. Innen setzte sich die Fachwerkbauweise der Außenwände fort, unterbrochen von Türen mit schwerer Holzverkleidung, welche anscheinend auf der gesamten Etage in Schlafabteile führten. Morlenden ging auf die erste Tür zu und versuchte sie zu öffnen. Sie war verschlossen. Die zweite – die in einem Winkel auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs und etwas weiter weg lag –, war nicht abgeschlossen; er trat ein.
Innen waren zwei Betten, die ziemlich genau nach Art der Betten der Menschen gemacht waren, aber ganz schlicht, nichts weiter als Gestelle für gepolsterte Bretter. Aber sie waren reichlich beladen mit Bett- und Tagesdecken. Morlenden öffnete seinen äußeren Umhang und prüfte die Luft. Kalt; er würde den ganzen Haufen feuchter Decken benötigen. Am anderen Ende des Raums standen unter einem winzigen Fenster, das hoch oben in die Mauer eingelassen war, ein Tisch und ein Stuhl. Auf dem Tisch befand sich eine einzige lange Kerze. Morlenden nahm die Kerze mit nach draußen, wo er sie an eine der brennenden Kerzen in den Haltern hielt, zündete sie an und ging wieder in den Raum zurück. Nun, da er von dem warmen gelben Licht der Kerze erleuchtet war, wirkte er nicht mehr ganz so kahl und öde. Das Balkenwerk war feinste Handarbeit, wenngleich mit jenem Hauch roher Patina behaftet, die auf frisches, von der Zeit noch nicht bearbeitetes Material schließen ließ. Auf dem Tisch lag ein großer, schwerer Band zusammen mit einem Bündel Papier, einer Feder und einem Tintenfaß. Er sah genauer hin; die Schrift der Vorderseite des Buches lautete: Knun Vrazus {37} – Die Lehre von den Gegensätzen. Morlenden lächelte ein wenig und blätterte flüchtig in dem Buch. Von Hand geschrieben, schön illuminiert und reich ausgestattet mit seltsamen Zeichnungen von mythologischen Tieren und Gestalten, Dämonen, Engeln, Märchenfiguren. Er verstand sehr gut: Man sollte hier meditieren, hier in dieser kleinen Zelle, und seine Gedanken und Überlegungen an die künftigen Bewohner wie auch an die Bewohner der Granithütte weitergeben. Er seufzte niedergeschlagen: Morlenden hätte einen Gang in die Schankstube vorgezogen, um sich dort einen Schluck oder zwei und ein kleines Gespräch zu gönnen. Er grub das noch übriggebliebene gekochte Ei aus seinem Tornister aus, klopfte es auf und verzehrte es, wobei er vorsichtig auf der harten Bettkante saß. Während er aß, lauschte er den Geräuschen im Haus, bemerkte jedoch nichts außer dem vom Dach heruntertropfenden Regenwasser, das draußen Pfützen bildete, und ein leichtes, angenehmes Glucksen weiter weg, das Fließen von Wasser in einer Dachrinne. Geräusche von Leuten waren überhaupt nicht zu hören.
Als er sein Ei aufgegessen und aus einem kleinen Krug Wasser getrunken hatte, den er in einem winzigen Wandschränkchen entdeckt hatte, blickte er sich noch einmal in dem kleinen, kahlen Raum um, schüttelte den Kopf und begann sich auszuziehen. Seine äußere Kleidung hing er an einen Haken an der Wand. Alles übrige faltete er zusammen und legte es auf das Schreibpult; er behielt nur das untere Hemd an. Anschließend ging Morlenden daran, das Bett zu machen, wobei er hauptsächlich etwas über kalte gekochte Eier vor dem Zubettgehen vor sich hinbrummte. Er wollte schon die Kerze ausblasen, als er Schritte auf der Treppe hörte, die dann in den draußen liegenden Flur einmündeten. Noch ein Gast, dachte er. Mögen sie der gleichen Einladung folgen wie ich. Er lauschte. Er vernahm ein leises Rütteln an der ersten Tür; genau wie er selbst es vorher gemacht hatte. Dann versuchte der Besucher, seine Tür zu öffnen, die jetzt eingeklinkt, aber nicht abgeschlossen war. Es wurde einmal gerüttelt. Es entstand eine Pause, und dann klopfte der Besucher an die Tür. Indem er die Augenbrauen hochzog, nahm Morlenden die Kerze und ging zur Tür und öffnete sie – und blickte geradewegs in das regennasse Gesicht von Sanjirmil Srith Terklaren.
Sie trug immer noch einen schweren Winterumhang mit einer Kapuze, die ihr bis weit in die Stirn hineinfiel, der Umhang war mit der wasserabstoßenden Seite nach außen gewendet, und in dem flackernden Kerzenlicht schimmerten Hunderte von Glitzerpunkten auf ihm und auf Sanjirmil selbst an den Stellen, an denen sie unbekleidet
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