Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
durch die Überbeanspruchung allmählich einer alten Bandaufnahme zu ähneln – voll mit den Geräuschen der Langeweile und des Überdrusses. Knisternd und abgenutzt. Die Genauigkeit der Wiedergabe schwand, und die unerwünschten Zusatzgeräusche überlagerten allmählich die Zusammenhänge. Die Informationstheorie und das Gehirn. Die Erinnerung war bei lebenden Kreaturen kein statisches, an bestimmte Stellen gebundenes Gebilde wie ein mechanischer Computer, sondern eine dynamische, lebendige, bewegliche Größe, eine flüchtige Menge von Abstraktionen, die sich durch die Milliarden von Zellen und Synapsen bewegt wie ein Vogel im Medium der Luft, abhängt von der Bewegung, um in seiner Funktion bestimmt werden zu können. Holistisch.
Aber es war auch noch in folgender Hinsicht eine Bandaufnahme: Als sie die guten Stellen so oft wiederholte, hatte sie sich die Gewohnheit gestattet, alles außer den besten Szenen zu überspringen. Das war schon in Ordnung, aber nach so häufigem Gebrauch waren die Szenen, die mehr oder weniger aus dem sinngebenden Bezugsrahmen gerissen waren, nach und nach flacher und schließlich weniger gut geworden. Einige von ihnen wirkten mittlerweile beinahe ermüdend. Sie ertappte sich schon dabei, daß sie beim Ansehen zu sich selber sagte: „Ja schön, und?“
Was die Tagträume, die Vorstellungen, die Phantasien anging, so hatte sie inzwischen erkannt, daß es immer gefährlicher wurde, sich ihnen hinzugeben. Beriethon nannte sie sie in ihrer eigenen Sprache, Paraträume. Ihre Träume und Paraträume wurden stärker und ständig klarer, während die Tatsachen immer schwächer wurden. Während ihre Erinnerungen an eine gewesene Wirklichkeit langsam in einem Sumpf, in einem Morast aus Geräuschen versanken, wurden die Projektionen klarer und sogar vernünftig.
Zuerst waren die projizierten Paraträume wie Träume gewesen; die einzelnen Szenen hatten unzählige Details enthalten, aber die Szenen hatten sich ohne Rücksicht auf die Gesetze von Ursache und Wirkung miteinander vertauscht. Das vor allem war es, was sie von realen Begebenheiten unterschied. Jetzt aber, in dem Kasten, waren es die Erinnerungen an das Reale, die zu den antikausalen Trugbildern mit den unlogischen Verschiebungen geworden waren, während die Projektionen logisch, kraftvoll und elektrisierend wirkten. Die Wirklichkeit war nunmehr blaß und bedeutungslos. In der normalen Umgebung waren die Träume die Algorithmen des Geistes, damit Erfahrungen sich ordnen und auf planvolle und leicht zugängliche Weise in den flüchtigen holistischen Mustern der Erinnerung unterbringen ließen. Alles gut und schön; aber es war nichts da, was das lebendige Gehirn auf eine auf Null reduzierte Umwelt hätte vorbereiten können. Daher verlief der Prozeß des Registrierens und Ordnens ungehindert weiter, wobei das wiederverwendet wurde, was bereits als willkürliche Eingabe untergebracht war, wobei Bilder eingespeist wurden, die bereits geordnet und eingegeben waren, und wobei erneut geordnet und registriert wurde. Bei jeder Übertragung verloren die Bilder sowohl an Genauigkeit als auch an Deutlichkeit. Bei jeder Übertragung nahm das Rauschen im Verhältnis zum erkennbaren Zusammenhang zu.
Von Anfang an hatte sie Visionen gefördert, die erotischen Inhalts waren; in ihrem eigenen kulturellen Bezugsrahmen, soweit er ihre momentane Entwicklungsphase betraf, die Reifezeit, wurden derartige Aktivitäten, die Erinnerungen an sie und ihre Projektionen weder als tadelnswert noch als unerwünscht angesehen, sondern vielmehr als Teil des Erwachsenwerdens allseits gefördert. Liebschaften, Rendezvous, Verabredungen unterschiedlicher Dauer und Zusammenkünfte, bei denen die Teilnahme nicht auf ein einziges Paar beschränkt war, waren alle Teil eines komplizierten Prozesses, in dessen Verlauf man über die Pflichten gegenüber seinesgleichen, über intime Beziehungen und Rücksichtnahme gegenüber anderen aufgeklärt wurde. Das Wissen kam später an die Reihe; zunächst war es wichtig, daß man lernte, mit anderen auszukommen und andere zu tolerieren angesichts dessen, was die elterliche Entwicklungsphase mit sich bringen würde.
Daher war es ganz natürlich, daß sie an diese Abenteuer dachte; sie waren auf unmittelbare, körperliche Weise angenehm und trugen enorm dazu bei, daß die Zeit verging. Mittlerweile aber waren sie natürlich die schlimmsten, was die Verstöße gegen die Regel der Realität betraf. Sie gingen einfach mit ihr durch. In
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