Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
mehreren hundert Jahren vorbei. Allein die Vorstellung … Es war das schwierigste Problem, dem sich der zivilisierte Mensch je gegenübergesehen hatte, und Parleau rechnete nicht damit, es im Laufe eines Vormittages zu lösen.
Man sehe sich die Mathematik und das klassische Problem von der dreifachen Körperlichkeit an: Selbst mit Computern, die das Rechenverfahren millionenfach beschleunigten, konnten sie es immer noch nicht als das begreifen, was es war, nämlich dreifach simultan, sondern ließen es als Zweierreihe laufen. Nun vergrößere man dieses Beispiel, verkompliziere es zu einem milliardenfachen Körper-Problem, füge noch mehrere Wirtschaftstheorien, fünf bedeutende politische Schulen, inklusive Anarchisten, und die inzwischen zur Hälfte kontrollierte Ökologie des ganzen Planeten hinzu und trübe es mit einer ungeregelten menschlichen Bevölkerung, die unvermindert, wenn auch de facto bis aufs Nullwachstum gebremst in der unvorstellbaren Höhe von zwanzig Milliarden verblieben ist. Ja, auf begrenzte Art und Weise war es genau dies, was das Institut zu tun versuchte, dabei eine Frage nach der anderen angehend. Die menschlichen Angehörigen stellten eingehende und spezifische Fragen, und die Forscher entwarfen Alternativen, die sie Hilfslösungen nannten, Reihen von zweifelhaften Handlungsweisen, deren Nachteile bekannt waren oder stark befürchtet wurden. Die Fragesteller diskutierten und fällten die Werturteile.
Dadurch war den Menschen mittlerweile peinlich bewußt, daß die Ler und ihr Institut unentbehrlich geworden waren, was seit Hammurabi der größte Schrecken jedes Führers und Bürokraten war. Wer unentbehrlich ist, kann machen, was er will. Nur wenn man alle Menschen, ja alle Geschöpfe dazu bringen kann, im Grunde entbehrlich und austauschbar zu werden, kann diese Gefahr für den Aberglauben der Omnipotenz der Beamten bedeutungslos werden. Und die Lösung, auf die man am häufigsten kam – sie einfach zu eliminieren und die Angelegenheit für die langsamen Denker hinterher rational zu erklären –, war in diesem Falle sowohl mit der Ethik unvereinbar wie auch offensichtlich verhängnisvoll. Sie setzten schon seit langem voraus, daß es möglich sei, es allein, ohne die Ler-Partner zu schaffen, wenngleich dies, wenn man alle Dinge in Betracht zog, ganz und gar nicht wünschenswert war. Die Zukunft mußte sehr fein erwogen werden.
Und jetzt auch das noch, dachte Parleau, der plötzlich zu erregt war, um still am Schreibtisch zu sitzen, dem Symbol, für das er so hart gearbeitet und für das er sich so viele nachtragende Feinde geschaffen hatte. Ein Mädchen, über das fast nichts bekannt war, außer daß es indirekt mit irgendeinem geringfügigen und unwichtigen Fall von Vandalismus in Beziehung stand. Ein einfacher Vorfall, gewiß, aber irgendwie brachte diese junge Ler es mittendrin fertig, ihren verfluchten Verstand zu verlieren. Dann fanden die verantwortlichen Beteiligten heraus, daß sie eine heranreifende Ler war. Es war unübersehbar. Parleau stand an der Ecke seines Schreibtischs und sah flüchtig die Morgenberichte vom Vorabend und von der Mittelschicht durch; die Kontrolldaten, die Tabellen, die graphischen Darstellungen. Nicht sie interessierten ihn, sondern lediglich die Antwort auf die Frage: Warum gerade ich?
Der Verwaltungsbeamte im vorderen Büro meldete, daß die Besucher, die Parleau zuvor angerufen hatte, jetzt dort versammelt seien und auf ihn warteten. Die Zeit war gekommen. Parleau räusperte sich, seufzte tief und verwandelte seinen Gesichtsausdruck von einem der tiefsten Besorgnis zu einem solchen der unnachgiebigen Führung. Und daß sie sich nicht etwa um irgendwelche Unterbrechungen Gedanken machten. Alle anderen Angelegenheiten außer Naturkatastrophen und Bürgerunruhen waren für diesen Tag zurückgestellt. Sie mußten hier und jetzt wissen, was los war; soviel war sicher. Diese Angelegenheit konnte sich entweder als ein Nichts herausstellen, das man vergessen konnte, oder als Einladung zu einem totalen Reinfall.
Er drückte einen Knopf auf dem Schreibtisch, dadurch Zustimmung signalisierend, und wenig später traten seine Besucher ein. Es waren alles wohlbekannte Persönlichkeiten, Inhaber von Schlüsselstellungen in der höheren Bezirksverwaltung aus der Gegend, aber Parleau merkte gleichzeitig, daß er keinen von ihnen gut kannte. Es waren alles entweder Überbleibsel des vorherigen Regimes oder Importe – wie er selbst – aus einem anderen Teil der
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