Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
alles verloren hat, selbst die kleinsten Eigenheiten, die letztlich eine Persönlichkeit zu dem machen, was sie ist. Aber wesentlich ist, daß Sie, der Sie kein ausgebildeter Beobachter sind, sie immer noch erkennen können. Jetzt lassen Sie mich Ihnen diese zeigen.“ Während er dies sagte, breitete Plattsman die restlichen Blätter auf der matten Schreibtischplatte aus. Er trat zurück.
Parleau sah erst auf die Blätter, dann Plattsman an. Plattsman wies auf die Blätter. Parleau sah noch einmal hin.
Und noch einmal. Er sah typische Bilder aus der punktuellen Überwachung einer größeren Menge, stark vergrößert, um einzelne Personen besonders hervorzuheben, wobei diese Bilder an den Rändern durch die Vergrößerung etwas verschwommen waren. Zuerst sah er nicht das, worauf Plattsman ihn offensichtlich hinweisen wollte. Er sah Bilder von einem Mädchen, meistens modisch gekleidet, seltener in der Ler-Kleidung, dem Überhemd, mit kurzem Haar, dunkler Haut, wenn auch nicht so dunkel wie die Plattsmans, einem aufmerksamen Gesichtsausdruck, der alles mögliche bedeuten konnte … auf manchen der Bilder konnte er makellose, starke Gliedmaßen erkennen, deren Formen sich den Kleidern aufdrückten. Er sah noch einmal hin. Er hatte beinahe aufgegeben, als etwas sein geistiges Auge fesselte. Und noch einmal. Und dann sah Parleau, was Plattsmans Aufmerksamkeit erregt hatte. Der Vorsitzende traf eine Wahl, griff nach zweien von den Blättern, hob sie hoch und legte sie zur Seite.
Er wandte sich an den Aufsichtsbeamten und sagte: „Auf diesen beiden ist nicht unser Mädchen, Punkt sechsundvierzig.“
„Nein, Herr Vorsitzender, das ist es nicht. Sie und ich, wir haben ein höheres Unterscheidungsvermögen als die Maschine, wie entwickelt sie auch sein mag. Besonders, wenn es um Gesichter geht. Gesichter sind komplexer als Netzhautmuster oder Fingerabdrücke, aber wir sind durch unser eigenes Erbe der natürlichen Programmierung besser auf sie eingestellt. Sie haben recht. Es sind noch ein paar andere da, die zur Debatte stehen. Wir sind schon bei der Analyse der näheren Umstände.“
„Sie sind doch nicht zurückgekommen, um mir mitzuteilen, daß ihre Maschine sich geirrt hat.“
„Nun, was wir von den vorliegenden Daten vorläufig ableiten können – Sensoren, Tageszeit und ähnliches – ist, daß das zweite Mädchen, dessen Gesicht wir nicht so gut erkennen können, auf irgendeine Weise mit dem ersten, Punkt sechsundvierzig, in Beziehung stand. Gleicher Ort, praktisch gleiche Zeit, und die zweite wird vom Sensor grundsätzlich nach der ersten erfaßt.“
„Hat die eine die andere beschattet?“
„Sieht so aus, obwohl der Grund ein Rätsel ist. Außerdem wissen wir durch die Chemonitoren, daß es beides Ler sind, weiblich, mehr oder weniger gleichaltrig, und daß der Grad der Belastung bei der zweiten immer niedriger ist als bei der ersten. Ferner höre ich von der Physiologie, wiederum vorläufig, daß die Art der Belastung bei beiden unterschiedlich ist. Die erste, Punkt sechsundvierzig, hat immer eine starke Angstkomponente dabei. Sie kann zusammen mit anderen emotionalen Mengen auftreten oder in reiner Form, aber die eine oder andere Art von Angst ist immer dabei.“
„Die zweite?“
„Die zweite gleicht in ihren Gefühlen nichts, was wir in Analogie mit dem Menschen erklären könnten. Aber ganz gleich, welchen Geisteszustand sie bei ihr erkennen lassen, er tritt immer rein auf, absolut allein.“
„Ich habe etwas darüber gehört, wie sie solche Suchgeräte einsetzen. Irgend etwas über gemischte und reine Mengen … helfen Sie meinem nachlassenden Gedächtnis doch auf die Sprünge.“
„Eine reine Chemspur beim Menschen weist fast grundsätzlich auf eine seelische Störung hin, gewöhnlich auf einen Psychopathen; ich nehme an, daß das Ler-System ähnlich genug ist, daß wir die gleiche Schlußfolgerung ziehen können. Ich lasse das gerade nachprüfen.“
„Aber stellen Sie sich das doch mal vor! Zwei! Wo ist die Verbindung?“
„Wir kümmern uns schon darum, Herr Vorsitzender. Aber es sieht bestimmt nicht wie eine leichte Angelegenheit aus.“
„Nun denn, geben Sie diese Sachen unbedingt an Eykor weiter. Dadurch wird es ihm zwar nicht bessergehen, aber er braucht sie ja ohnehin.“
Plattsman nickte, sammelte die Blätter wieder ein und ging. Und Parleau setzte sich wieder und blickte starr auf einen leeren, zufälligen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Er nahm seine
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