Lerchenherzen
dunkelbraunem Haar prachtvoll aussieht.
»Du bist so hübsch!« sagt Borgny ohne eine Spur von Neid.
»Kannst du nicht dabeisein?« fragt Ragnhild zum zwanzigsten Mal, denn auch Borgny hat eine von Mathilde mit zierlicher Handschrift geschriebeneEinladung zur Hochzeit erhalten. Tatsächlich wird sie die kleine Karte für den Rest ihres Lebens aufheben und sie in einer alten runden Keksdose hinterlassen, zusammen mit einem Stoß Briefen von Ragnhild, einer Reihe von Glanzbildern und dem Foto eines jungen Mannes in Offiziersuniform.
Aber Borgny will nicht, kann nicht, vielleicht würde sie letztendlich diese ganze Freude und familiäre Idylle nicht ertragen. Sie lehnt sehr entschieden ab, und Ragnhild muß einsehen, daß sie nicht zu bewegen ist. Borgny begleitet Ragnhild am letzten Tag zum Bahnhof. Sie trägt die große Hutschachtel mit dem Brautschleier für sie und winkt ihr zum Abschied, wobei sie sich gegenseitig versichern, daß sie sich demnächst wieder treffen werden. Natürlich werden sie das!
Aber sie werden sich nur noch ein einziges Mal treffen. Fünfzehn Jahre werden vergehen, und ein Weltkrieg und die Geburt eines Kindes werden dazwischenliegen.
Wenn du damals mitgegangen wärest, Borgny, hätte dein Leben dann einen anderen Verlauf genommen? In jüngster Zeit habe ich mich das oft gefragt.
23
Von den nächsten Jahren weiß ich nicht so viel, abgesehen davon, daß Lars im Winter auf Walfang und Ragnhild mit Mathilde und dem Gesinde zu Hause auf Ås war. Die dunklen Winternächte waren ein einziges langes Warten, für das die kurzen, hektischen Sommernächte entschädigen mußten.
Da arbeiten sie gemeinsam auf dem Hof und haben selten genug Zeit für Freizeit und Vergnügen, aber wer drängt sich danach, wenn auf Ås das gute breite Ehebett im Schlafzimmer steht, in dem man Zuflucht suchen kann. Oder die Jakobsscheune, wenn es weiter nichts ist.
Mathilde ist aus dem Schlafzimmer wieder ausgezogen, so wie sie nach ihres Vaters Tod dort eingezogen war. Jetzt lebt sie wieder in der Kammer, in der sie vor bald fünfzig Jahren geboren worden ist. Nachts sitzt sie am Fenster, die Katze auf dem Schoß, und starrt über die Jakobsau. Wenn sie so Nacht für Nacht dort sitzt, die Nase an die Scheibe gepreßt, entgeht ihren Augen, die mit der Zeit immer weitsichtiger geworden sind, nicht viel.
»Nein, hast du da noch Töne! Ja, ja sie! Ach ja, er! Na ja, die werden schon sehen!« Eifrig sammelt sie, was sie sieht und noch mehr, und am nächsten Tag trägt sie es boshaft in die Gemeinde. Wahres wie Unwahres, glauben die Leute.
Aber wenn ihre Katze mitunter mit einem mißvergnügten Miauen von ihrem Schoß springt und sich hinsetzt, um salzige Tränen aus dem langhaarigen Fell zu lecken, dann wird das keiner gewahr. Die Katzen haben noch immer ein Geheimnis für sich behalten können.
In diesen Jahren wird Mathilde irgendwie alt. Sie wird zu derjenigen, an die ich mich erinnere, schwarz gekleidet, die Haare straff zum Knoten gebunden, mit strenger Miene. Ob sie ebenso gespannt auf den Hoferben wartet wie Ragnhild, wird keiner je erfahren. Aber jedesmal, wenn es wieder schiefgegangen ist, kümmert sie sich rücksichtsvoll um Ragnhild, wäscht die selbstgestrickten Baumwollbinden und gibt ihr das eigene Taschentuch, wenn Ragnhilds nicht gewaschen ist.
Das geschieht zwar auf die gewohnte barsche Weise, aber in ihrer Bemerkung: »Jetzt mußt du dich zusammenreißen« liegt so viel anteilnehmende Fürsorge, daß Ragnhild nur noch mehr weinen muß.
Denn diese eine Sache in Ragnhilds Leben – später wird noch etwas hinzukommen – ist, was sie so grenzenlos verzweifelt sein läßt und was sie gänzlich in ihrem an sich so erdverbundenen und zuversichtlichen Wesen erschüttert. Jedes Mal, wenn wieder ein kleiner Keim des Hoffens und Erwartens aus ihr hinausgespült wird, ist ihr, als nehme er ein Zipfelchen ihrer Seele mit sich.
Zerbricht sie am Ende daran? Nicht Ragnhild. Dafür ruht sie zu sehr in sich. Und selbst wenn es mit jedem Mal ein wenig länger dauert, bis sie darüber hinweg ist, so verliert sie doch nie den Mut, daß es ihr einmal gelingen wird, ein lebendiges Kind auszutragen.
24
Er hieß mit Vornamen Hans, seinen Nachnamen habe ich vergessen, wenn ich ihn überhaupt irgendwann einmal gehört habe. Als er nach Norwegen kam, war der Krieg schon ein paar Jahre im Gange. Die Leute hatten sich langsam an Verdunklungsrollos gewöhnt und an Rationierungskarten, aber das unheilverkündende Heulen des
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