Lerchenherzen
Raum schickt, wie er es immer getan hat, jederzeit bereit, sich wegen des einen oder anderen Gegenstands zu ducken, der in rasender Wut nach einem der streitenden Zwillingsbrüder geworfen wurde.
Die Mutter steht am Spültisch, genauso bereit, einzugreifen wie früher, genauso bereit, die Drohung »den einen schnappen, und den anderen damit verhauen« in die Tat umzusetzen. Eine solche jahrelang eingeübte Bereitschaft abzulegen, dazu bedarf es mehr als einer Walfangsaison.
Aber weder fliegen länger lose Gegenstände, noch hagelt es schallende Ohrfeigen. Und die einzige, die sich ein bißchen ungesetzlich verhält, ist Ragnhild, wenn sie sich im Dunkel der Nacht auf lautlosen Füßen verstohlen vom Mädchenzimmer zum Jungenzimmer schleicht, um sich in die starken Arme von Lars zu schmiegen, der in einem schmalen Kojenbett liegt und ungeduldig wartet. Und die Mutter, die von den unruhigen Nächten vieler Jahre her das Knirschen jeden Bettes im Haus kennt, dreht sich zur Wand um, so daß das taube Ohr oben liegt und denkt, daß sie ja richtig verlobt sind. Und daß er ein prächtiger Bursche ist.
Mathilde auf Ås findet ebenfalls, daß er ein prächtiger Bursche ist, soweit sie das beurteilen kann – ja, doch, einen kennt Mathilde. Sie lädt zu einem großen Familienessen am Ostermontag ein, und wie sie da in der Tür steht und bei dem schönen Frühlingswetter die Gäste empfängt, ist sie auf eine hektische Art höflicher, als sie jemals irgendwer erlebt hat. Als ob auch sie in der Wärme der Sonne ein wenig auftaut.
Arme Mathilde. Wie ist es dir in dem einsamen Winter ergangen? War es in diesen kalten Wintermonaten, daß du begonnen hast, das Essen für die Katzen zu kauen? Die großen buschigen Katzen, die immer geduldig neben deinen Beinen saßen und warteten, während du am Essen warst, wie gut ich mich an sie erinnere. Wieder und wieder hast du dir während der Mahlzeit einen Mundvoll halbgekauten Essens in die Hand gespuckt, dich herabgebeugt und die Katze aus der gebogenen Handfläche die breiige Masse hinunterschlingen lassen. Wir Kinder waren davon immer so fasziniert, wie von allem bei dir.
Über deinem Leben liegt ein Rätsel, Mathilde. Dunkel und maliziös gehst du durch die stillen Räume auf Ås und brütest über etwas, von dem wir anderen nichts wissen dürfen. Dienstmägde und Knechte haben sich schlafen gelegt, wer um fünf Uhr in den Kuhstall muß, geht früh zu Bett. Du hörst nichts als das schwere Ticken der Wanduhr in der Stube und das zarte Klirren der Prismen des Kronleuchters, wenn du in die gute Stube gehst.
Was machst du um diese Zeit in der guten Stube, Mathilde? Seit langem ist im Ofen kein Feuer mehr gewesen, und die Winterkälte knackt in den Wänden und der Decke und kriecht unter dein langes, selbstgenähtes Flanellnachthemd, so daß du die Arme um dich schlingst, um warm zubleiben. Warum bleibst du immer bei der alten Anrichte stehen? Nicht das Bild deiner Eltern nimmst du auf und schaust es an. Anders Irgendeiner und Maren Pütt dürfen in Frieden stehen und ernst in den halbdunklen Raum starren.
Hast du einmal deine Mutter vermißt? Kann man überhaupt etwas vermissen, das man gar nicht kannte? Ich glaube trotzdem, daß du dich später in deinem Leben eher nach der armen Maren gesehnt hast als damals, als du jung warst. Mütter werden mit den Jahren immer wichtiger für uns.
Aber nicht Marens ernstes Gesicht betrachtest du in der frostkalten Nacht, wenn der Vollmond über dem Hügel die schweren, alten Möbel in der Stube mit der niedrigen Decke in ein beinahe überirdisches Licht einspinnt und auf den Holzwänden die Malereien in ihren altmodischen Rahmen lebendig hervortreten läßt. Das kleine geschnitzte Pferd ist es, das du mit behutsamen Händen aufnimmst. Du streichelst es und klopfst es, wie du das sonst nur mit den Katzen tust. Weißt du, daß es mit den Jahren auf dem Rücken durch die Berührung deiner Hände einen Hauch blanker geworden ist? Vielleicht kann nur ich das sehen, weil ich es weiß.
Aber deine Träume, Mathilde, die sind von den Jahren sicher nicht abgewetzt. Du bist jetzt Mitte Vierzig, und zwanzig Jahre ist es her, seit du mit dem Schlitten oben vom Jakobshügel hinunterfuhrst,auf dem Schoß eines Schweizers mit geschickten Händen. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, aber ich glaube, daß du dieses Kribbeln im Bauch noch spürst, die Kraft der Arme, die er um dich gelegt hat, und das Gefühl in euren Händen, so fest ineinander verflochten in
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