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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Skjelbred
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anderen Seite der flaschengrünen Wände poltert.
    Viele Kinder und ein kleiner Hof auf dem Land, darin sind sie sich einig. Von seinem Traum vom Walfang auf der anderen Seite der Erdkugel ist sie nicht so begeistert, verständlicherweise. Wer wünscht sich schon, daß der Liebste weggeht und man selber den Winter hindurch allein auf dem Hof sitzt.
    »Du hast es hier doch wohl kalt genug«, sagt sie und zieht ihm die Decke weg, so daß sich der große Körper augenblicklich in der eiskalten Luft dagegen auflehnt. Und schon sind sie wieder in dem üblichen Wirrwarr von Lachen und Pst!-Sagen und Zärtlichkeiten, wobei sie beide verzweifelt darum kämpfen, die Decke überall unten zu halten, damit die kostbare Körperwärme nicht in Rauch aufgeht.

20
    Ja, das war ein schöner Winter für die beiden in Oslo, mit Ausflügen hinaus vor die Stadt, wo Zukunftsträume mit glitzerndem Sonnenschein um die Wette auf dem knirschenden weißen Schnee aufblitzen. Sie sind sich ihrer so gewiß, daß eskeine Katastrophe ist, als sie schwanger wird. Selbst wenn es natürlich beschämend ist, heiraten zu müssen. Ragnhild hatte an eine Hochzeit im Juni gedacht, zu Hause in der Kirche, und nicht an eine rasche Trauung mit sich abzeichnendem Bauch auf einem Standesamt.
    Deshalb ist sie da über die Fehlgeburt nach nur wenigen Wochen auch recht froh, denn sie weiß ja nicht, daß dieser nur der erste einer nicht enden wollenden Reihe von Spontanaborten war. Und sie weiß nichts von all den Tränen der Verzweiflung, die sie über alle diese kleinen Lebenskeime vergießen wird, die sich weigern, sich in ihr festzusetzen und statt dessen nach einigen Wochen voll ängstlicher Spannung mit einem Strom von Blut herausgeschwemmt werden.
    Aber dieses Mal ist sie froh. Freudestrahlend vertraut sie ihre Erleichterung Borgny an, der Kollegin auf der Arbeit im Hotel, wo sie als Zimmermädchen angestellt ist. Sie arbeiten in der gleichen Schicht, und im Laufe des Winters wird Ragnhild dieses zurückhaltende, ein wenig kurz angebundene Mädchen richtig gern leiden mögen.
    Etwas an ihr kommt Ragnhild so bekannt vor. Als ob Borgny an etwas oder an jemanden von zu Hause erinnert, ohne darauf zu kommen, an was. Bis sie plötzlich entdeckt, daß der leicht mißtrauische Blick der engstehenden grauen Augen unddie mürrische Art, eine bissige Bemerkung zu blaffen, hin und wieder an Mathilde erinnern. Tatsächlich vermißt sie die mürrische Tante mehr, als sie sich vorher vorgestellt hatte, ja mehr als die Eltern. Da ist es irgendwie gut, Borgny zu haben. Ihre kurz angebundene Art prallt an der gutmütigen, zuversichtlichen Ragnhild ab – sie könnte noch einen Granitbrocken gern haben, dieses Mädchen!
    Nach und nach blickt Ragnhild hinter die abweisende Miene und erfährt das eine und andere über Borgny, das der für immer einen Platz in Ragnhilds geräumigem Herzen sichert. Daß Borgny in einem Kinderheim aufgewachsen ist und gar keine Familie hat, weckt in Ragnhild, die allmählich begonnen hat, an die lärmende Geschwisterschar mit einiger Wärme zu denken, tiefes Mitgefühl. Und stell dir vor, nie eine Mutter oder einen Vater gehabt zu haben, nicht einmal eine verdrießliche Tante Mathilde!
    Ragnhild lädt Borgny in ihr Wolldecken-Zimmer ein und bewirtet sie mit Tante Mathildes Saft von schwarzen Johannisbeeren. Dabei erzählt sie Geschichten von ihren ungestümen Zwillingsbrüdern, bis Borgny mehr und mehr auftaut und laut schallend über die verrückten Geschichten lacht. Sie sitzen zusammen in dem kalten, grünen Zimmer, trinken glühendheißen Saft und wissen nicht, daß die eine der anderen einmal das größteGeschenk machen wird, das ein Mensch bekommen kann. Aber das kommt erst viele Jahre und für Ragnhild viele Fehlgeburten später.

21
    In diesem Frühjahr wird das Leben von Ragnhild und Lars eine unerwartete Wendung nehmen. In den Osterferien sind sie zu Hause bei Ragnhilds Eltern. Respektabel sind sie jeder für sich untergebracht, Ragnhild wohnt in dem Zimmer, das sie immer mit den älteren Schwestern teilte, wenn sie nicht in der Kammer auf Ås geblieben war. Lars bekommt das Zimmer der Zwillinge, das in diesem Winter leer steht. Auch die jüngsten Buben sind auf Walfang.
    Es ist für sie merkwürdig, heimzukommen in ein Haus, das so still ist. Vater und Mutter wirken ohne alle die Jungen um sich herum fast schon ein bißchen verloren. Der Vater liest die Zeitung mit den gleichen wachsamen und aufmerksamen Blicken, die er rasch in den

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