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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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einer Stunde im Garten dieser Beschäftigung obgelegen, und bei dieser Bewegung hatte er die seltsamen Gebärden gemacht, die Jean Valjean beobachtet hatte.
    »Nun«, fuhr der Alte fort, »ich dachte mir, bei diesem klaren Mondlicht kann es leicht frieren. Ob ich nicht meinen Melonen ihre Röcke anziehe? Und Sie, Sie hätten auch den Ihren nicht zu Hause lassen sollen. Aber wie kommen Sie nur hierher?«
    Als Jean Valjean sich von diesem Manne wenigstens unter dem Namen Madeleine erkannt sah, beschloß er vorsichtig zu sein. Er begann selbst zu fragen. Ihre Rollen waren vertauscht, er, der Eindringling, war es, der den andern zur Rede stellte.
    »Wozu brauchen Sie denn die Glocke da an Ihrem Knie?«
    »Die? Na, die habe ich, damit man mir aus dem Weg geht.«
    Der Alte zwinkerte mit einem unaussprechlichen Ausdruck.
    »Wissen Sie, es sind nur Frauen in diesem Haus, und viele junge Mädchen. Offenbar könnte ich denen gefährlich werden. Darumtrage ich die Glocke. Die soll sie warnen. Wenn ich komme, laufen sie fort.«
    »Aber was ist denn das für ein Haus?«
    »Das wissen Sie ganz genau, denke ich.«
    »Ich habe keine Ahnung …«
    »Und Sie haben mich doch hier als Gärtner untergebracht!«
    »Antworten Sie mir, als ob ich nichts wüßte.«
    »Nun, das Kloster Petit-Picpus doch!«
    Jetzt erinnerte sich Jean Valjean. Der Zufall, also die Vorsehung, hatte ihn genau in dieses Kloster gebracht, in dem vor zwei Jahren der alte Fauchelevent nach seinem Sturz unter den Wagen untergekommen war.
    »Also das Kloster Petit-Picpus«, sagte er leise.
    »Aber wie zum Teufel sind Sie nur hier hereingekommen, Vater Madeleine? Sie sind zwar ein Heiliger, aber immerhin doch ein Mann? Und Männer kommen hier nie herein.«
    »Aber Sie sind ja doch hier?«
    »Ich bin auch der einzige.«
    »Und dabei muß ich sogar hierbleiben!«
    »Ach, du lieber Gott!« rief Fauchelevent.
    Jean Valjean trat auf den Alten zu und sagte ernst:
    »Vater Fauchelevent, ich habe Ihnen das Leben gerettet.«
    »Und ich habe mich zuerst daran erinnert.«
    »Gut, Sie können heute für mich tun, was ich damals für Sie tat.«
    Fauchelevent nahm die kräftigen Hände Jean Valjeans in seine faltigen, zitternden.
    »Verfügen Sie über mich!«
    Eine unaussprechliche Freude schien sein Gesicht zu verklären.
    »Was soll ich tun?« fragte er wieder.
    »Das will ich Ihnen gleich sagen. Haben Sie eine eigene Stube?«
    »Ich habe eine eigene Baracke da hinter der Ruine des alten Klosters, in einem Winkel, in den kein Mensch kommt. Dort sind drei Zimmer.«
    Diese Baracke war in der Tat so gut hinter der Ruine versteckt, daß auch Jean Valjean sie nicht gesehen hatte.
    »Gut«, sagte er, »jetzt habe ich Sie um zwei Dinge zu bitten.«
    »Und zwar, Herr Bürgermeister?«
    »Erstens sagen Sie niemand, was Sie von mir wissen. Zweitens suchen Sie nicht mehr von mir zu erfahren.«
    »Wie Sie wollen. Ich weiß, daß Sie nichts Unanständiges tun können und immer ein guter Mann waren. Übrigens haben Sie mich ja hierhergebracht. Ich stehe Ihnen ganz zur Verfügung.«
    »Abgemacht. Und jetzt kommen Sie mit mir. Wir wollen das Kind holen.«
    »Was, ein Kind ist auch noch da?«
    Aber er fragte nicht weiter, sondern folgte Jean Valjean wie ein Hund seinem Herrn.
    Noch war keine halbe Stunde vergangen, als Cosette, deren Wangen sich an einem Kaminfeuer wieder gerötet hatten, bereits im Bett des alten Gärtners schlief. Jean Valjean hatte sein Halstuch und seinen Rock wieder an sich genommen; Fauchelevent hatte jetzt den Riemen mit dem Glöckchen abgeschnallt, und die beiden Männer saßen an dem Tisch, auf dem der Gärtner ein Stück Käse, ein Brot, eine Flasche Wein und zwei Gläser hingestellt hatte. Und jetzt sagte der Alte, indem er Jean Valjean die Hand aufs Knie legte:
    »Ach, Vater Madeleine, Sie haben mich gar nicht erkannt! Erst retten Sie den Leuten das Leben und dann vergessen Sie sie? Sie sind ja undankbar.«
Wie die Beute Javert entging
    Die Ereignisse, die wir eben von der Kehrseite gesehen haben, waren unter den denkbar einfachsten Umständen zustande gekommen.
    Als Jean Valjean in jener Nacht, da ihn Javert am Bett der toten Fantine verhaftet hatte, aus dem Stadtgefängnis von Montreuil sur Mer entsprang, hatte die Polizei vermutet, der Flüchtling habe sich nach Paris gewandt. Paris ist ein Malstrom, in dem alles sich verliert, jeder in der Unmenge der anderen verschwindet. Kein Wald kann einen Menschen so gut verbergen wie die Menschenmenge von Paris. Alle

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