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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Recht, neugierig zu sein. Es ist erlaubt, das Elend zu belauschen, wenn man ihm zu Hilfe kommen will.
    Marius stieg auf die Kommode und blickte durch das Loch in den Nachbarraum.
Das Raubtier in seiner Höhle
    Die Höhlen der Raubtiere sind zuweilen denen der Menschen vorzuziehen.
    Marius blickte in ein schmutziges Loch.
    Er selbst war arm, sein Quartier war dürftig; doch war seine Armut edel, sein Unterschlupf sauber. Das Loch aber, in das er jetzt sah, war verlottert, schmutzig, dunkel, widerwärtig. Das Mobiliar bestand aus einem Strohsessel, einem wackeligen Tisch, einigen alten Töpfen, zwei elenden Bettgestellen; dem Fenster dienten wohl die Spinnweben als Vorhänge. Durch diese Luke drang gerade genug Licht ein, um die Menschen in diesem Raum gespenstisch erscheinen zu lassen. Die Wände waren unrein wie die Haut eines Leprakranken, bedeckt mit Narben und Rissen. Klebrige Feuchtigkeit haftete an ihnen. Irgend jemand hatte mit einem Kohlenstift obszöne Skizzen darauf gezeichnet.
    Doch gab es in diesem Zimmer einen Kamin – darum kostete es auch vierzig Franken jährliche Miete. Und in dem Kamin war alles mögliche zu bemerken, ein kleiner Kochherd, ein Topf, zerbrochene Bretter, Fetzen, die an Nägeln hingen, ein Vogelkäfig, Asche, und sogar ein kleines Feuer. Zwei Scheite brannten darin.
    Die eine der Pritschen stand an der Tür, die andere am Fenster. Beide berührten den Kamin und standen an der Wand, die Marius gegenüber lag. In einem Winkel hing an der Wand eine farbige Gravüre in einem schwarzen Holzrahmen, unter der mit großen Lettern geschrieben stand:
    »Der Traum«.

    Sie stellte eine schlafende Frau und ein schlafendes Kind dar; über ihr in einer Wolke schwebte ein Adler, der eine Krone im Schnabel trug; die Schlafende hatte die Krone offenbar, ohne aufzuwachen, von dem Kopf des Kindes zurückgeschoben. Im Hintergrund Napoléon im Glorienschein, gestützt auf eine waschblaue Säule mit einem vergoldeten Kapitell, das folgende Inschrift zeigte:

    Marengo
    Austerlitz
    Jena
    Wagram
    Eylau

    Unter diesem Bild stand, an die Wand gelehnt, ein großes Holzschild. Die bemalte Seite war offenbar der Wand zu gerichtet.
    An dem Tisch, auf dem Marius eine Feder, Papier und ein Tintenfaß bemerkte, saß ein Mann von etwa sechzig Jahren: klein, mager, blaß, mit einem grausamen, unsteten Gesicht – ein widerwärtiger Kerl.
    Er hatte einen langen, grauen Bart. Seine Kleidung bestand aus einem Frauenhemd, das seine zottige Brust und seine behaarten Arme bloß ließ, ferner aus einer mit Kot bespritzten Hose und Schuhen, aus denen seine Zehen hervorstanden.
    Er hatte eine Pfeife im Mund und rauchte.
    Wahrscheinlich schrieb er gerade wieder einen jener Bettelbriefe, die Marius schon kannte.
    Am Kamin hockte eine dicke Frau, die ebensogut vierzig wie hundert Jahre alt sein konnte; sie hatte fröstelnd ihre bloßen Füße an den Leib gezogen.
    Auch sie trug nur ein Hemd und einen Unterrock, der mit zahlreichen Flicken besetzt war. Eine Schürze aus grober Leinwand verdeckte die Hälfte dieses Unterrocks. Obwohl diese Frau gebückt saß, konnte man sehen, daß sie sehr hochgewachsen war. Gegen ihren Gatten konnte sie eine Riesin darstellen. Sie hatte rötliche, ergrauende Haare, die sie zuweilen mit ihren plumpen Händen zurückstrich.
    Auf einer der Pritschen bemerkte Marius ein hochgewachsenes junges Mädchen, das fast nackt war und im Sitzen die Beine baumeln ließ; sie schien weder zuzuhören noch zu sehen oder überhaupt zu leben.
    Offenbar war es die jüngere Schwester des Mädchens, das zu Marius gekommen war. Sie schien elf oder zwölf Jahre alt, aber wenn man näher zusah, konnte man sie auf vierzehn schätzen.
    Geraume Zeit blickte Marius in diesen ungemütlichen Raum hinab, der ihm abstoßender erschien als ein Grab, denn in dieser Gruft atmeten und lebten Menschen.
    Der Mann schwieg, die Frau döste vor sich hin, das Mädchen war vollkommen regungslos. Man hörte, wie die Feder auf dem Papier kratzte.
Strategie und Taktik
    Bedrückt wollte Marius eben von seinem Beobachtungsposten herabsteigen, als ein unerwartetes Geräusch seine Aufmerksamkeit neu weckte und ihn bewog zu bleiben.
    Die Tür wurde jäh aufgerissen, die ältere der beiden Töchter erschien auf der Schwelle. Jetzt hatte sie grobe Holzschuhe an den Füßen und war in eine alte zerlumpte Mantille gehüllt, die Marius vorher nicht bemerkt hatte; offenbar hatte das Mädchen sie, um erbarmungswürdiger auszusehen, vorher abgelegt und im

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