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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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zum Siege führt. Äußerste Entschlüsse erschließen erstaunliche Hilfsquellen. Sich in den Rachen des Todes zu stürzen, ist oft ein Mittel, dem Schiffbruch zu entgehen: der Deckel des Sarges kann das Brett werden, an das wir uns klammern und das uns die Rettung bringt.
    Nicht lange warteten die Verteidiger der Barrikade. Zuerst war von Saint-Leu herüber eine Bewegung zu bemerken, aber sie war jener unähnlich, die den vorigen Angriff eingeleitet hatte. Es war wie ein Klirren von Ketten. Irgendein unheimliches Mordgerät wurde herangeschleppt. Diese friedlichen Straßen, die einem ruhigen Verkehr geweiht waren, zitterten unter dem Rollen der Räder des Krieges.
    Alle Augen waren auf den Ausgang der Straße gerichtet. Eine Kanone tauchte auf.
    Die Artilleristen zogen sie heran. Sie war schußbereit, die Protze abgenommen. Zwei Leute hielten die Lafette, vier waren an den Rädern. Andere folgten mit dem Munitionskasten. Die Lunte brannte bereits.
    »Feuer!« rief Enjolras.
    Die ganze Barrikade spie Feuer ans, und das Getöse war furchtbar; eine Rauchwolke stieg auf. Als sie sich verzog, tauchte die Kanone wieder auf. Die Soldaten, die sie bedienten, fuhren fort, sich an ihr zu betätigen, ruhig und ohne Hast. Keiner war getroffen. Der Kommandant drückte, ernst wie ein Astronom, der das Fernrohr einstellt, auf den Rückhalter, um den Schuß höher zu richten.
    »Bravo, Kanoniere!« schrie Bossuet.
    Alle Leute auf der Barrikade klatschten in die Hände.
    Und schon stand das Geschütz schußbereit inmitten der Straße der Barrikade gegenüber. Sein furchtbarer Schlund drohte.
    »Vorwärts, lustig!« rief Courfeyrac, »nach dem Hundegekläff das Bärengebrumm! Die Armee streckt ihre große Tatze nach uns aus. Unsere Barrikade wird ordentlich durchgerüttelt werden. Das Gewehrfeuer hat uns abgetastet, die Kanone greift zu.«
    »Ladet eure Gewehre!« rief Enjolras.
    Wie würde die Barrikade dem Geschütz widerstehen? Mußten die Kugeln nicht eine Bresche schlagen? Das war die Frage.
    Während die Insurgenten wieder ihre Flinten luden, machten die Artilleristen ihre Kanone schußbereit.
    Der Schuß fiel – eine furchtbare Detonation folgte ihm.
    »Schon da!« rief eine vergnügte Stimme.
    Es war Gavroche, der die Kugel herbeischleppte.
    Sein Erscheinen wirkte auf alle – die Verteidiger der Barrikade begannen zu lachen.
    »Fortsetzung!« brüllte Bossuet den Artilleristen zu.
Die Artilleristen wollen ernst genommen werden
    Alle umringten Gavroche.
    Aber ihm blieb kaum Zeit, zu erzählen. Marius zog ihn beiseite.
    »Was suchst du hier?«
    »Na, und Sie?«
    Streng fragte Marius:
    »Wer hat dir gesagt, daß du wiederkommen sollst? Hast du wenigstens meinen Brief besorgt?«
    Was diesen Brief anging, war Gavroches Gewissen nicht ganz rein. In seiner Hast, wieder zur Barrikade zurückzukommen, hatte er sich den Brief eher vom Halse geschafft, als ihn bestellt. Insgeheim mußte er sich sagen, daß er ihn etwas leichtfertig jenem Unbekannten anvertraut hatte, dessen Gesicht er nicht einmal gesehen. Wohl hatte jener Mann keinen Hut getragen, aber das war ja noch kein Beweis. Er scheute Vorwürfe Marius’. Um sich aus der Klemme zu befreien, tat er, was am nächsten lag: er log, was das Zeug hielt.
    »Bürger«, sagte er, »ich habe den Brief dem Portier gegeben. Die Dame schlief schon. Wenn sie aufwacht, wird sie den Brief haben.«
    Als Marius dieses Schreiben absandte, hatten ihm zwei Ziele vorgeschwebt: sich von Cosette zu verabschieden und Gavroche zu retten. Er mußte zufrieden sein, daß er wenigstens das eine erreicht hatte.
    Immerhin brachte ihn die Anwesenheit Fauchelevents auf eine seltsame Gedankenverbindung. Er zeigte Gavroche den Neuankömmling und fragte:
    »Kennst du diesen Mann?«
    »Nein.«
    Die peinlichen und überängstlichen Befürchtungen Marius’ wichen. Kannte er Fauchelevents politische Ansichten? Vielleicht war dieser Mann wirklich ein Republikaner. Dann war ja weiter nichts Verwunderliches daran, daß er hier erschienen war.
    Schon war Gavroche auf der Barrikade aufgetaucht und verlangte energisch nach seinem Gewehr.
    Courfeyrac ließ es ihm geben. Nun erzählte Gavroche seinen »Kameraden«, wie er sie nannte, daß die Barrikade vollkommen eingekreist sei. Nur mit größter Mühe hatte er sich noch durchgeschmuggelt. Ein Bataillon Linieninfanterie, dessen Gewehrpyramiden in der Rue de la Petite-Truanderie standen, beobachtete den Zugang von der Rue du Cygne. Auf der anderen Seite hielten

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