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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Lärm schlagen wollte. Überdies war die Situation zu schwierig, um wegen eines Mannes den Posten zu verlassen.
    Als Jean Valjean sich unter die Kämpfer mengte, hatte keiner aufihn geachtet, da alle mit der Wahl derer beschäftigt waren, die sich retten sollten. Jean Valjean hatte schweigend zugehört, dann seine Uniform abgelegt und zu den anderen geworfen.
    »Wer ist das?« fragte Bossuet.
    »Einer, der für einen anderen einspringt«, erwiderte Combeferre.
    Marius fügte ernst hinzu:
    »Ich kenne ihn.«
    Diese Bürgschaft genügte allen.
    Enjolras trat zu Jean Valjean:
    »Seien Sie willkommen, Bürger. Daß wir hier alle sterben müssen, wissen Sie doch?«
    Jean Valjean antwortete nicht, sondern half dem Insurgenten, der die Uniform anlegte, in den Rock.
Die Lage verschlimmert sich
    Wie war Fauchelevent hierhergekommen? Und warum? Was wollte er?
    Marius erwog diese Frage kaum. Wenn ein Mensch verzweifelt ist, verspinnt er sich so in seinen eigenen Seelenzustand, daß es ihm höchst logisch erscheint, wenn alle andern auch sterben wollen.
    Übrigens richtete Fauchelevent nicht das Wort an ihn, sah ihn nicht einmal an. Als Marius gesagt hatte, daß er ihn kenne, schien es, daß Fauchelevent ihn nicht einmal gehört hatte.
    Die fünf Ausgelosten verließen die Barrikade. An nichts war zu erkennen, daß man es nicht mit Nationalgardisten zu tun hatte. Einer weinte.
    Jetzt dachte Enjolras auch an den zum Tode Verurteilten. Er trat in das Gastzimmer. Javert war noch immer an seinen Pfeiler gebunden und brütete vor sich hin.
    »Verlangst du irgend etwas?« fragte ihn Enjolras.
    »Wann werdet ihr mich umbringen?«
    »Warte noch ein wenig. Einstweilen sind unsere Patronen zu kostbar.«
    »Gut, dann gebt mir etwas zu trinken.«
    Enjolras hielt selbst das Glas, während der Gefesselte trank.
    »Ist das alles?« fragte Enjolras.
    »Ich fühle mich hier recht übel«, erwiderte Javert. »Es ist nicht besonders nett von euch, daß ihr mich eine Nacht an diesem Pfeiler stehenlaßt. Ihr könnt mich ja anbinden, wenn ihr wollt, aber ihr solltet mich liegenlassen wie den andern.«
    Und er deutete auf Mabeuf.
    Auf Enjolras’ Befehl banden vier Insurgenten Javert von seinem Pfeiler los. Man ließ seine Hände auf dem Rücken gefesselt, band jetzt auch die Beine mit einem dünnen, aber scharfen Strick, so daß er nur kurze Schritte machen konnte wie ein Delinquent, der zum Schafott hinaufsteigt. Dann ließ man ihn zum Tisch gehen, legte ihn darauf und schnallte ihn fest.
    Während man Javert band, erschien ein Mann auf der Schwelle und sah aufmerksam zu. Javert wandte sich nach ihm um. Er zog die Brauen hoch und erkannte Valjean. Stolz ließ er die Lider wieder herabfallen und sagte:
    »Natürlich!«
    Jetzt wurde es rasch Tag. Aber kein Fenster, keine Tür ging auf. Heute brachte die Morgenröte nicht das Erwachen der Straße. Die Truppen hatten sich aus der Rue de la Chanvrerie zurückgezogen, die jetzt in unheimlicher Ruhe dalag.
    Man sah und hörte niemand. Doch ging in einiger Entfernung etwas Geheimnisvolles vor sich. Der kritische Augenblick nahte sichtlich. Posten wurden abgelöst – diesmal alle.
    Die Barrikade war jetzt viel stärker als beim ersten Angriff. Nach dem Abgang der fünf hatte man sie neuerlich erhöht.
    Auf Anraten des Postens, der die Gegend der Markthalle beobachtet hatte, faßte Enjolras, der jetzt doch einen Angriff im Rücken fürchtete, einen schweren Entschluß. Er ließ in der Rue Mondétour, die bis jetzt frei gewesen war, eine kleine dritte Barrikade errichten. So war man jetzt nach drei Seiten hin verbarrikadiert.
    »Eine Festung – und zugleich eine Mausefalle«, erklärte Courfeyrac lächelnd.
    Nichts ist seltsamer als eine Barrikade, die zur Abwehr eines Angriffs rüstet. Jeder wählt seinen Platz wie im Theater. Man lehnt sich an, stützt den Ellbogen auf eine Unterlage. Viele richten es so ein, daß sie sitzend kämpfen können. Man will bequem töten und mit Komfort sterben.
    Sobald das Zeichen zur höchsten Kampfbereitschaft gegeben ist, rührt sich keiner mehr. Jetzt sind alle Nerven angespannt. Hatfrüher das Chaos geherrscht, so setzt sich jetzt Disziplin durch. Die Gefahr schafft Ordnung.
    Im übrigen waren die Verteidiger dieser Barrikade stolzer und zuversichtlicher als je. Die höchste Opferbereitschaft ist auch eine innere Stärkung. Wenn man keine Hoffnung mehr hat, so weiß man sich wenigstens im Besitz eines letzten Gutes – der Verzweiflung. Sie ist eine Waffe, die manchmal

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