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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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die Schornsteine.
    »Ich bin froh, daß diese Fackel gelöscht ist«, sagte Courfeyrac zu Feuilly. »Sie flackerte, als ob sie Angst hätte.«
    Die Morgenröte weckte die Geister wie die Vögel. Man unterhielt sich lebhaft.
    Joly bemerkte eine Katze auf einer Dachrinne und sagte:
    »Was ist eigentlich die Katze? Eine Korrektur der Schöpfung. Als der liebe Gott die Maus geschaffen hatte, sagte er: Holla, da habe ich mich vergaloppiert. Die Katze ist gewissermaßen die Berichtigung des Irrtums Maus. Katze plus Maus stellt einen Beweis dafür dar, daß wir die Schöpfung heute in revidierter und korrigierter Auflage vor uns haben.«
Hoffnungen flammen auf und verlöschen
    Inzwischen unternahm Enjolras einen Erkundigungsrundgang. Er drang an den Häusern der Rue Mondétour in Richtung der Hallen vor.
    Die Revolutionäre waren, wir müssen es offen sagen, bester Hoffnung. Die Art, wie der nächtliche Angriff zurückgeschlagen worden war, veranlaßte sie, den Angriff des kommenden Tages im voraus zu unterschätzen. Sie erwarteten ihn mit Lächeln. Jetzt zweifelte keiner mehr am endgültigen Erfolg ihrer Sache. Überdies stand bei ihnen fest, daß Hilfe kommen würde. Darauf rechneten sie in voller Sicherheit. Mit dieser Leichtigkeit, eine strahlende Zukunft vorauszusehen, die den französischen Kämpfer auszeichnet, teilten sie bereits den nächsten Tag in drei bestimmte Phasen ein: Um sechs Uhr morgens würde ein Regiment, das »man bearbeitet hatte«, zu den Rebellen übergehen. Um Mittag käme dann die Erhebung von ganz Paris, gegen Sonnenuntergang würde die Sache der Revolution durchgefochten sein.
    Auch ließ sich noch immer die Sturmglocke von Saint-Merry hören, was bewies, daß die andere, große Barrikade – die Jeannes – sich noch immer hielt.
    Mit vergnügtem Flüstern tauschte man diese Hoffnungen und Beobachtungen aus.
    Jetzt kehrte Enjolras zurück. Einen Augenblick lang hörte er mit gekreuzten Armen den fröhlichen Schwätzern zu, dann sagte er:
    »Die ganze Armee in Paris folgt dem König. Ein Drittel der Armee wird gegen unsere Barrikade aufgeboten. Dazu kommt noch die Nationalgarde. Ich sah die Tschakos des fünften Linienregiments und die Feldzeichen der sechsten Legion. Binnen einer Stunde werdet ihr angegriffen. Was das Volk betrifft, so hat es gestern Lärm geschlagen, heute aber rührt es sich nicht. Weder ein Regiment noch eine Vorstadt hält zu uns. Ihr seid von den Brüdern verlassen!«
    Diese Worte fielen auf die plaudernden Gruppen wie die ersten Tropfen eines Gewitterregens. Alle verstummten. Es gab einen Augenblick unbeschreiblichen Schweigens, in dem man glauben konnte, die Flügel des Todes rauschen zu hören.
    Aber dieser Augenblick währte nur kurz.
    Aus dem dunklen Hintergrund rief jemand: »Sei es darum! Wir bauen die Barrikade zwanzig Fuß hoch, und dann bleiben wir eben alle hier. Bürger, unsere Leichen werden ein Protest sein: Wenn das Volk die Republikaner verläßt, so verlassen die Republikaner nicht das Volk: das müssen wir ihm beweisen.«
    Diese unbeugsame Entschlossenheit lag an jenem 6. Juni 1832 sosehr in der Luft, daß zur selben Stunde auf der Barrikade von Saint-Merry jener historisch gewordene Schwur geleistet werden konnte:
    »Ob man uns zu Hilfe kommt oder nicht – wir wollen hier sterben, vom Ersten bis zum Letzten!«
    Der Leser sieht, daß die beiden Barrikaden, wenn auch räumlich voneinander getrennt, doch in Verbindung standen.
Fünf Mann weniger, einer mehr
    Nachdem dieser Unbekannte, der vom Protest der Leichname gesprochen, den Ausdruck gefunden hatte für das, was in diesem Augenblick alle empfanden, fielen alle in einen zugleich triumphierenden und düsteren Ruf ein:
    »Es lebe der Tod! Wir bleiben alle!«
    »Warum alle?« fragte Enjolras.
    »Alle, alle!«
    »Die Stellung ist gut«, sagte Enjolras, »die Barrikade stark. Dreißig Mann genügen zu ihrer Verteidigung. Warum wollt ihr vierzig opfern?«
    »Weil keiner unter uns ist, der gehen will.«
    »Bürger«, rief Enjolras mit zitternder Stimme, in der fast etwas wie Zorn mitklang, »die Republik ist nicht so reich an Menschen, daß sie sich unnütze Verschwendung leisten darf. Der Ruhm als solcher ist ein Popanz. Wenn einige unter uns die Pflicht haben zu gehen, so muß dieser Pflicht wie jeder andern gefolgt werden.«
    Enjolras, dieser Prinzipienmann, hatte unter seinen Gesinnungsfreunden ein so hohes Ansehen, wie es nur aus dem absoluten Willen hervorgehen kann. Doch murrten alle.
    Aber Enjolras

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