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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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schöne Puppen, Goldsachen, alles mögliche. Sie spielen und unterhalten sich.«
    »Den ganzen Tag?«
    »Ja, guter Herr.«
    »Und du?«
    »Ich arbeite. Manchmal, wenn die Arbeit zu Ende ist und wenn man es mir erlaubt, unterhalte ich mich auch.«
    »Wie machst du das?«
    »Wie es geht. Ich habe nicht viel Spielzeug. Ponine und Zelma wollen nicht, daß ich mit ihren Puppen spiele. Ich habe einen Bleisäbel, so lang«, und sie zeigte den kleinen Finger.
    »Schneidet er denn?«
    »Doch, guter Herr, Salat und Köpfe von Fliegen.«
    Sie erreichten das Dorf. Cosette führte den Fremden durch die Straßen. Sie kamen auch an der Bäckerei vorüber, aber Cosette dachte nicht an das Brot, das sie mitbringen sollte. Der Mann hatte aufgehört zu fragen und schwieg dumpf. Als sie aber die Kirche hinter sich hatten, bemerkte er die Hökerbuden und fragte:
    »Ist denn hier Jahrmarkt?«
    »Nein, guter Herr, Weihnachten.«
    Sie näherten sich jetzt der Herberge. Scheu berührte Cosette seinen Arm.
    »Guter Herr …?«
    »Nun?«
    »Wir sind jetzt gleich zu Hause.«
    »Ja, und?«
    »Wollen Sie mir jetzt den Zuber geben?«
    »Warum?«
    »Wenn Frau Thénardier sieht, daß man ihn mir getragen hat, prügelt sie mich.«
    Der Mann gab ihr den Zuber. Im nächsten Augenblick standen die beiden vor dem Eingang der Herberge.
Unannehmlichkeit, einen Armen bei sich aufzunehmen, der vielleicht reich ist
    Cosette konnte sich nicht enthalten, einen Blick nach der großen Puppe zu werfen, die noch immer in der Schaubude hellbeleuchtet stand, dann klopfte sie. Es wurde geöffnet. Die Thénardier stand mit der Kerze in der Hand auf der Schwelle.
    »Ah, da bist du ja, kleines Aas! Du hast ja schön lang gebraucht! Wo hast du dich denn herumgetrieben, Fratz?«
    »Da ist ein Herr, der hier schlafen will«, sagte Cosette zitternd.
    Sofort wechselte die Thénardier ihre Miene, wurde liebenswürdig, wie das bei den Gastwirten üblich ist, und faßte den Fremden ins Auge.
    »Ist das der Herr?«
    »Ja, Frau«, sagte der Mann und führte die Hand zum Hute.
    Reiche Reisende pflegen nicht so höflich zu sein. Diese Gebärde, des weiteren auch der kurze Blick, den die Thénardier auf Kleidung und Gepäck des Fremden warf, ließ die liebenswürdige Miene wieder verschwinden, und sie sagte trocken:
    »Treten Sie ein, guter Mann.«
    Der »gute Mann« folgte. Die Thénardier warf ihm einen zweiten Blick zu, prüfte den Rock, der schon ganz fadenscheinig war, bemerkte, daß der Hut bereits die Form verloren hatte, und wandte sich dann mit einem Zwinkern und Rümpfen der Nase zu ihrem Mann, der noch immer mit den Fuhrleuten zechte. Thénardier antwortete mit einem kaum merklichen Wink des Zeigefingers und zugleich mit einem verächtlichen Herabziehen der Mundwinkel; das bedeutete in diesem Falle: Herr Habenichts!
    Jetzt wandte sich die Thénardier wieder dem Fremden zu.
    »Ich habe leider keine Schlafstelle mehr frei, guter Mann.«
    »Bringen Sie mich unter, wo immer Sie wollen, auf dem Boden oder im Stall. Ich werde so viel zahlen wie für ein Zimmer.«
    »Kostet vierzig Sous.«
    »Gut, vierzig Sous.«
    »Nun denn, von mir aus.«
    »Vierzig Sous«, sagte ein Kutscher leise zu Thénardier, »das ist doch zuviel? Es kostet doch nur einen Franken!«
    »Für den zwei«, erwiderte die Thénardier in gleichem Ton. »Ganz Arme nehme ich billiger nicht an.«
    »Das ist ganz richtig«, fügte ihr Gatte freundlich hinzu, »das schadet dem Hause, wenn man solche Gäste hat.«
    Inzwischen hatte der Mann sein Bündel und seinen Stock abgelegt und an einem Tisch Platz genommen; Cosette beeilte sich, eine Flasche Wein und ein Glas vor ihn hinzustellen. Der Hausierer, der Wasser für sein Pferd verlangt hatte, ging in den Stall. Jetzt nahm Cosette ihren Platz unter dem Küchentisch wieder ein und griff nach der Strickerei.
    Der Fremde hatte kaum an dem Wein genippt; mit seltsamer Teilnahme betrachtete er das Kind.
    Cosette war häßlich. Wenn sie glücklich gewesen wäre, hätte sie ein hübsches Kind sein können. Wir haben das traurige kleine Geschöpf schon gezeichnet. Sie war mager und blaß, sah trotz ihrer acht Jahre kaum wie sechs Jahre alt aus. Ihre großen, tiefliegenden Augen waren vom Weinen fast erloschen. Ihre Mundwinkel waren gekrümmt, wie man es bei Menschen findet, die viel Angst ausstehen, zumal bei Verurteilten und unheilbar Kranken. Ihre Hände waren von Frostbeulen entstellt. Das Kaminfeuer, dessen Licht auf die Kleine fiel, hob die scharf vorspringenden Knochen

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