Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
Vom Netzwerk:
Gesellschaft: hier Neid – hier Verachtung.
    Die Puppe der Schwestern Thénardier sah recht abgerissen und alt aus, nichtsdestoweniger mußte sie Cosette bewunderungswürdig erscheinen, da sie doch in ihrem Leben niemals, wenn wir das Kinderwort gebrauchen wollen, eine richtige Puppe besessen hatte.
    Plötzlich bemerkte die Thénardier, die in der Gaststube auf undab ging, daß Cosette nicht arbeitete, sondern den beiden spielenden Mädchen zusah.
    »So arbeitest du!« schrie sie. »Ich werde dich mit der Karbatsche arbeiten lehren!«
    Ohne aufzustehen, wandte sich der Fremde der Thénardier zu.
    »Lassen Sie sie doch spielen«, sagte er fast ängstlich.
    Von einem Reisenden, der eine Hammelkeule und zwei Flaschen Wein bestellt hätte und nicht wie ein elender Schnorrer aussah, hätte dieser Wunsch einen Befehl bedeutet. Aber daß einer mit einem verbeulten Hut und einem abgeschabten Rock etwas wolle, glaubte die Thénardier nicht dulden zu dürfen. Darum sagte sie grob:
    »Sie hat zu arbeiten, denn sie ißt ja auch. Ich ernähre sie nicht, damit sie faulenzt.«
    »Was arbeitet sie denn da?« fragte der Fremde mit einer sanften Stimme, die nicht zu seinen Lastträgerschultern paßte.
    »Strümpfe, wenn es Ihnen paßt«, antwortete die Thénardier. »Strümpfe für meine Töchter, die keine mehr haben und bald nackt laufen müssen.«
    Der Fremde streifte die rotgefrorenen Beinchen Cosettes mit einem Blick und fuhr fort:
    »Wie lange braucht sie, um solch ein Paar fertigzustricken?«
    »Bei ihrer Faulheit gewiß drei oder vier Tage.«
    »Und was mag ein solches Paar Strümpfe wert sein, wenn es fertig ist?«
    Die Thénardier warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
    »Mindestens dreißig Sous.«
    »Würden Sie es mir für fünf Franken ablassen?«
    »Himmelherrgott!« rief einer der Fuhrleute, »für fünf Franken? Denke wohl! Für fünf Plemper!«
    Jetzt glaubte Thénardier, ein Wort zur Sache sagen zu müssen.
    »Nun, mein Herr, wenn es Ihre Laune will, sollen Sie dies Paar Strümpfe für fünf Franken haben. Wir schlagen unseren Gästen nicht gern etwas ab.«
    »Aber das Geld muß gleich bezahlt werden«, sagte die Thénardier kurz und entschieden.
    »Ich kaufe also dieses Paar Strümpfe«, erwiderte der Mann, zog ein Fünffrankenstück aus der Tasche und legte es auf den Tisch. »Hier ist das Geld.«
    Dann wandte er sich an Cosette:
    »Jetzt gehört deine Arbeit mir. Geh spielen, mein Kind!«
    Thénardier trat an den Tisch und nahm wortlos das Fünffrankenstück. Seine Frau fand ihre Sprache nicht wieder. Sie biß sich in die Lippen, und ihr Gesicht verriet Haß.
    Cosette zitterte, aber sie wagte doch zu fragen:
    »Darf ich spielen?«
    »Spiel schon!« schrie die Thénardier wütend.
    »Danke«, flüsterte die Kleine.
    Ihr Mund dankte der Wirtin, aber ihre kleine Seele wandte sich dem Fremden zu.
    Thénardier hatte sich wieder an den Tisch der Zecher gesetzt. Seine Frau flüsterte ihm ins Ohr:
    »Wer mag der Gelbe sein?«
    »Ich habe Millionäre gesehen«, erwiderte Thénardier patzig, »die Röcke wie diesen anhatten.«
    Cosette hatte ihren Strumpf beiseite gelegt, war aber auf ihrem Platz verblieben. Sie rührte sich immer so wenig als möglich. Aus einer Schachtel, die hinter ihr stand, hatte sie einige alte Tuchlappen und einen kleinen Bleisäbel genommen.
    Eponine und Azelma achteten nicht darauf, was vorging. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt einer sehr wichtigen Maßnahme, sie hatten sich der Katze bemächtigt. Die Puppe war weggelegt worden, und Eponine, die Ältere, versuchte das Kätzchen, sosehr es sich auch sträubte und sosehr es miaute, in eine Menge kleiner roter und blauer Lappen zu wickeln. Während sie diese ernste und schwierige Arbeit vollbrachte, erklärte sie in dieser süßen und liebenswürdigen Sprache der Kinder, deren Anmut ebenso unnachahmlich ist wie der Glanz der Flügel eines Schmetterlings, den Zweck ihres Werkes:
    »Siehst du, diese Puppe ist lustiger als die andere. Sie bewegt sich, sie schreit, sie ist sogar warm. Verstehst du, wir wollen mit ihr spielen. Sie ist meine Tochter, ich bin eine Dame. Ich komme zu dir zu Besuch, und du siehst sie. Da merkst du, daß sie einen Schnurrbart hat, und tust erstaunt. Hernach siehst du die Ohren und den Schwanz und staunst noch mehr. Und du sagst: Mein Gott, und ich sage darauf: Ja, Madame, das ist meine Tochter, und ich habe sie so bekommen. Heute sind die kleinen Mädchen so.«
    Azelma hörte diesen Vorschlag Eponines mit

Weitere Kostenlose Bücher