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Lesebuch für Katzenfreunde

Lesebuch für Katzenfreunde

Titel: Lesebuch für Katzenfreunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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schien es jedenfalls. Er war eindeutig eine Maine-Coon, eine schwanzlose Maine-Coon. Es fällt mir schwer, seine Fellfarbe zu beschreiben, denn der Typ sah tatsächlich wie eine wandelnde Malerpalette aus, deren Farben allerdings vertrocknet und schmutzig geworden waren. Der dominierende Farbton war zwar schwarz, doch mischten sich überall beige, braune, gelbe, graue, ja sogar rote Tupfer mit hinein, so daß er von hinten aussah wie eine riesengroße, etwa sieben Wochen alte Schüssel Obstsalat. Außerdem schien der Kerl fürchterlich zu stinken.
    Gleich würde er mich bemerken und eine Großoffensive starten, weil wahrscheinlich schon sein Urgroßvater auf diese Terrasse gekackt hatte oder weil er bereits 1965 vor dem Obersten Gerichtshof die Sondergenehmigung für sich erstritten hatte, jeden gottverdammten Tag zwischen fünfzehn und sechzehn Uhr von hier oben auf diesen wundervollen Garten hinabzuglotzen. Es war schon ein Kreuz mit diesen Brüdern.
    Ich ließ es darauf ankommen. Was blieb mir übrig?
    Und als wäre er so eine Art lebender Radar, drehte er sich in dem Moment, in dem mir das alles durch den Kopf schoß, zu mir und starrte mich an – das heißt, starren war vielleicht zuviel gesagt. Er hatte nur noch ein Auge, das andere war offenbar das Opfer eines nervösen Schraubenschlüssels geworden oder infolge einer Krankheit ausgelaufen. Dort, wo vorher das linke Auge gewesen war, befand sich nun eine verschrumpelte, rosarote und im Lauf der Zeit immer häßlicher gewordene Fleischhöhle. Überhaupt war die gesamte linke Visagenhälfte, wohl infolge einer halbseitigen Gesichtslähmung, zusammengefallen. Aber das bedeutete nicht viel. Mir war klar, daß höchste Vorsicht geboten war.
    Nachdem er mich, ohne eine Regung zu zeigen, gemustert hatte, drehte er jedoch zu meiner Überraschung seinen Kopf wieder weg und richtete den Blick erneut auf den Garten.
    Höflich, wie ich nun mal bin, beschloß ich, mich diesem bemitleidenswerten Fremden vorzustellen, in der Hoffnung, nähere Informationen über meine neue Umgebung aus ihm herauszulocken.
    Ich sprang von der Fensterbank auf den Balkon und von dort auf die Terrasse. Langsam und mit aufgesetzt ausgelassenem Gehabe spazierte ich auf ihn zu, etwa so, als hätten wir uns schon im Sandkasten gegenseitig die Augen ausgestochen. Er nahm das mit majestätischer Gelassenheit zur Kenntnis und unterbrach seine Gartenmeditation kein einziges Mal, um mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Dann stand ich neben ihm und riskierte einen Blick von der Seite. Aus der Nähe potenzierte sich der Eindruck, den er von weitem auf mich gemacht hatte, um das, sagen wir mal, vierunddreißigfache. Im Vergleich zu dieser geschundenen Kreatur hätte selbst Quasimodo realistische Chancen gehabt, in die Dressmanbranche einzusteigen. Zu allem Überfluß mußten meine inzwischen arg strapazierten Augen wahrnehmen, daß seine rechte Vorderpfote verstümmelt war. Nichtsdestotrotz schien er seine Totalverkrüppelung mit einer stoischen Ruhe zu ertragen, geradeso, als wäre die ganze Angelegenheit so was wie Heuschnupfen. Offensichtlich hatten diese diversen Deformationen auch Zugang in sein Kopfinneres gefunden, denn obwohl ich nun seit ungefähr einer Minute neben ihm stand, beachtete er mich nicht und schaute stur nach unten. Supercool eben. So tat ich ihm den Gefallen, senkte mein Haupt nieder und versuchte, im Garten die Stelle zu fixieren, die meinen Nebenmann so in ihren Bann zog.
    Was ich dort sah, war sozusagen mein Willkommensgeschenk. Unter dem hohen Baum, von Sträuchern halb verdeckt, lag ein schwarzer Artgenosse, der alle Glieder von sich gestreckt hatte. Nur schlief er nicht. Es war auch kaum anzunehmen, daß er in Zukunft weder aktiv noch passiv eine Tätigkeit würde ausüben können. Er war, wie der gemeine Bauer sagt, mausetot. Um genauer zu sein: Es handelte sich um die bereits in Verwesung begriffene Leiche eines Artgenossen. Aus seinem vollkommen zerfetzten Nacken war all sein Blut hinausgeflossen, das erst eine große Lache gebildet hatte und dann getrocknet war. Aufgeregte Fliegen kreisten über ihm wie Geier über dem verendeten Vieh.
    Der Anblick war ein Schock, doch meine Empfindsamkeit hatte nach all dem, was ich heute bereits über mich hatte ergehen lassen müssen, merklich nachgelassen. Innerlich verfluchte ich Gustav jetzt zum tausendsten Male, weil er mich in diese nunmehr bewiesenermaßen mörderische Gegend gezerrt hatte. Ich war paralysiert und wünschte

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