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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Soden
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morastig erschien. Da, plötzlich, flog ein Schwan über sie hinweg und schrie »dobrrr!« Das stammt aus dem Slawischen und bedeutet »gut!« Kombiniert mit der Endung »an« (Stelle/Ort) wurde aus dem Wink von oben schließlich Doberan. Um 1270 begannen die Zisterzienser, ihre Klosterkirche zu bauen – ein Musterbeispiel perfekt proportionierter Backsteinkunst, von Licht durchflutet nach dem Vorbild französischer Kathedralen mit einem Kapellenkranz um den Chor. »Fünf Millionen Backsteine haben die Mönche verbaut, jeder wiegt acht Kilo«, sagt unsere Münsterführerin. »Macht summa summarum vierzigtausend Tonnen«, rechnet der Kölner zusammen, »etwa genauso viel wiegt ein hundertfünfzig Meter langer Kreuzfahrtdampfer, ha!« Die Doberaner Mönche fertigten die Steine wie im Mittelalter üblich mit der Hand. Jeden einzelnen im Klosterformat: achtundzwanzig Zentimeter lang, vierzehn Zentimeter breit, neun Zentimeter hoch. Die mühevolle Prozedur zog sich über einige Jahre hin. Denn das Gemisch aus Lehm, Wasser und Sand, das in Holzformen gestrichen wurde, musste erst zehn, zwölf Monate trocknen, danach erst konnte man es in den Feldöfen brennen. Zeitökonomisch, wie die Mönche dachten, huben sie darum parallel zur Backsteinproduktion die Baugrube für das Münster aus. Ein unerhört schwieriges Unterfangen. »Haben Sie schon einen Spaziergang durch den Klosterpark gemacht?« – Wieder Kopfschütteln. Wieder Nein. – »An vielen Stellen können Sie sehen, wie sumpfig es hier ist. Das kommt vom Grundwasser, das anderthalb Meter tief unterm Boden fließt.« Selbiges stand natürlich auch in der Baugrube. Mehrere Schichten gespaltener Findlinge wuchteten die Mönche darum in die (Zahlen über Zahlen!) fünf Meter tiefe Grube hinein. Füllten die Hohlräume mit Feldsteinschüttungen. Heißkalk, erhitzt auf einhundertsechzig Grad Celsius, verband schließlich alles zu einem festen Fundament. »Das Münster steht also nicht auf Eichenpfählen!« – auch diese Behauptung geistere in manchen Büchern herum –, sondern auf Römischem Beton, so der Fachausdruck, lateinisch opus caementium. »Daraus haben die alten Römer auch unsere Stadtmauer gebaut«, ergänzt der fröhliche Kölner. Für Schwindelfreie (»Und vergib uns …«) noch schnell zum Beinhaus hinuntergeschaut. Es diente zur Aufbewahrung von Skelettresten aus Mönchsgräbern, die neu zu belegen waren. Wüsste man das nicht, käme man nie auf diese Idee, zumal das »Haus« kein Haus ist, sondern ein achteckiger Backsteinturm – mit Ornamenten, Zierleisten, Rosetten. Und dank seiner Backsteinfarbenvielfalt aus Rotbraun, Gelborange, leuchtendem Blau und Grün, davon viele Steine glasiert, lächelt er!
    Auf den hölzernen Stegen in schummrigem Licht begegnen wir bald immer wieder einem Mann, den unsere Münsterführerin nicht sonderlich gut leiden kann: Gotthilf Ludwig Möckel. »Sehen Sie da vorn die Stahlträger?« – Gespannte Stille. – »Die hat Herr Möckel vor hundert Jahren eingebaut!« Im vorwurfsvollen Unterton vernehmen wir ferner, dass Herr Möckel auch das Dach des Münsters flacher gelegt und verschiedene Anbauten vorgenommen hat. Geschehen ab 1883. In diesem Jahr, als weit weg in den Metropolen der Gründerrausch in vollem Gange war, trat der Architekt und Bauhandwerker seinen Dienst in Bad Doberan an. Der damals Fünfundvierzigjährige, von der Akademie der Künste in Dresden gerade zum Ehrenmitglied ernannt, sollte das Münster restaurieren. Und das tat er, übereifrig im Stil der Neugotik, die damals groß in Mode war, indes nicht nach jedermanns Geschmack. Aus heutiger Sicht schon gar nicht. Und so schimpfen denn auch viele Bad Doberaner darauf, dass man ihnen ihr Münster »vermöckelt« habe. So verzichteten die Zisterzienser den Regeln ihres Ordens entsprechend auf einen Turm, brachten stattdessen einen Dachreiter an – zierlich in seiner Anmut, nur zweiundfünfzig Meter hoch. »Dann kam Herr Möckel und zog ihn um zusätzliche zwanzig Meter hoch!« Außerdem verpasste er jeder Kapelle im Chorkranz ein eigenes Dach, die Mönche hingegen hatten eines über alle Kapellen gespannt. Nur Übeltaten aber richtete Gotthilf Ludwig Möckel keineswegs an. Immerhin befand sich das Münster damals in einem schlimmen Zustand. An mehreren Stellen drohte Einsturzgefahr. Eine Spätfolge aus jenen Tagen, als das Kloster schon längst aufgelöst worden war. Kreuzgang und Nebengebäude hatte man abgerissen und die Backsteine nach Güstrow und

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