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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Soden
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Aus heutiger Sicht eine simple Sache. Damals nicht, wenn man sich die Fülle aus Fleischwannen, Fischbrettern, Tranchierbrettern, Rollhölzern, Butterformen, Töpfen und Pfannen (getrennt nach solchen aus Kupfer und solchen aus Eisen), Gurkenhobeln, Schaumkellen, Trichtern, Blechen, Reiben, Geleeformen, Cremeformen, Puddingformen, Waffeleisen, Spick- und Dressiernadeln, Waagschalen, Wiegemessern, Mörsern, Suppensieben, Trichtern, Feuerzangen und schließlich Tellern, Schüsseln, Platten und Saucieren vergegenwärtigt. Generalstabsmäßig legte Frieda Ritzerow jeden Morgen vorm Arbeitsbeginn um fünf Uhr dreißig fest, was wann wie zu welcher Uhrzeit anzurichten ist, damit das Servieren reibungslos ablaufen kann: startend etwa mit einer Rübenpüree-Suppe oder einer gequirlten Bouillon, gefolgt von Pastetchen mit Milchfleischragout oder Geflügel-Croquettes über Schweinsrippenbraten mit Backpflaumen oder gekochtem Steinbutt mit Sauerampfersoße bis hin zu Stachelbeerkompott oder Quittenkompott, Flammeries von Kartoffelmehl und Makronen und so weiter und so fort …
    1864 wechselte Frieda Ritzerow in die »Küchenwirthschaft« des Hotels Rostocker Hof. Wie das Leben so spielt, ließ nämlich eines bangen Mittags ein Gast im Hotel Hübner »die Köchin« zu sich zitieren. An den Nachbartischen unruhiges Tuscheln. Was beabsichtigte der Herr? Wollte er sich womöglich beschweren? Über den in der Tat einen Tick zu weich geratenen Schüsselhecht? Frieda, überraschend schüchtern plötzlich wie ein Kind, obwohl sie mittlerweile schon die dreißig überschritt, betrat leicht errötet den Speisesaal, strich ihre weiße, mit Rüschen gesäumte Schürze glatt, und da winkte besagter Herr auch schon mit erhobenem Arm, in einer Geste, die eher fordernd als freundlich gesinnt aussah, sodass ihr Herz nur so pochte und es ihr heiß über den Rücken lief. »Noch nie«, hob der beleibte vollbärtige Gast mit Nickelbrille, grauer Weste und schwarzer Fliege an und wiederholte in gedämpftem, aber deutlich vernehmbarem Stakkato, »noch nie« habe er Kapern, habe er Schalotten, habe er Sardellen, Pfeffer und Muskatnuss derart fein komponiert, ja nachgerade verführend auf der Zunge gespürt als in dieser vorzüglichen Soße zum Schüsselhecht! Liebe geht durch den Magen. Und so heiratete jener Gast namens Bernhard Ritzerow, ein Sprachlehrer und Übersetzer aus Rostock, die bis dahin nach ihrem Vater heißende Frieda Burmeister von Gut Mechelsdorf. Noch im selben Jahr, 1864, wurde Tochter Emma in Rostock geboren.
    Die Hansestadt an der Warnow wurde von Reisenden damals als äußerst wohltuend und heiter charakterisiert, zum Teil an Danzig erinnernd, mehr noch an Lübeck, in seiner modernen Ausprägung besonders an Stettin. Würde und Wohlhabenheit repräsentierten ihre hohen hellfenstrigen Giebelhäuser. Vierundzwanzig an der Zahl umschlossen den Neuen Markt. Die Straßen waren sauber und freundlich, belebt von Handwerkern, Schiffern, Kaufleuten und Studenten der Rostocker Universität, der ältesten Alma Mater Nordeuropas. Eine Enzyklopädie listet 1819 für Rostock auf: einen botanischen Garten, ein Jungfrauenkloster zum Heiligen Geist, eine Sternwarte, ein Münzkabinett, Branntweinbrennereien, Tabakfabriken und Zuckersiedereien, zwei Gasthöfe mit Tanzsälen, ein Theater, ein Wasserwerk, die Rostocker Bank und eine Handelsflotte aus hundertfünfzig Schiffen, an deren Bug der schreitende goldene Greif aus dem Rostocker Wappen glänzte.
    In diese Betriebsamkeit hinein, der prognostizierte industrielle Aufschwung brodelte schon, eröffnete Dethloff Carl Hinstorff 1864, als auch Frieda Ritzerow nach Rostock zog, in der Lagerstraße eine Verlagsbuchhandlung mit Druckerei. Andere Standorte existierten bereits in Parchim, Ludwigslust und Wismar. Fritz Reuter war Hinstorffs Erfolgsautor. Frieda Ritzerow sollte 1868 folgen. In jenem Jahr brachte der Verlag ihr »Mecklenburgisches Kochbuch« heraus, eine Sammlung von über achthundertfünfzig »selbst erprobten« (!) Rezepten »für alle, welche der Kochkunst beflissen sind«. Zigtausendfach wurde Frieda Ritzerows Buch verkauft, jahrzehntelang gehörte es zu den Bestsellern im Hinstorff Verlag, eine Neuauflage nach der anderen erschien seit 1982 nach dem fotomechanischen Nachdruck des Originals – bis in die Tage unserer heutigen TV -Kochshows hinein.
    Frieda Ritzerow starb im Erscheinungsjahr ihres Buches mit vierunddreißig Jahren. Woran und warum so früh? Das weiß man nicht. Auch ihr

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