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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Prolog
    Die abendliche Brise hatte ihm zwar auf der Überfahrt den Rücken gekühlt, aber ihre nächtliche Arbeit noch nicht begonnen. Noch immer lastete die schwüle Tageshitze auf der Insel. Benjamin Hurwoods Gesicht glänzte von Schweiß, noch bevor der Schwarze auch nur ein Dutzend Schritte in den Dschungel hineingesetzt hatte. Hurwood hob die Machete, die er in seiner linken – und einzigen – Hand hielt, und spähte beklommen in die Dunkelheit, die sich hinter den von der Fackel des Schwarzen erhellten Pflanzen und über ihnen heranzudrängen schien. Die Geschichten von Kannibalen und Riesenschlangen, die er gehört hatte, schienen ihm auf einmal gänzlich plausibel zu sein, und trotz jüngster Erfahrungen fiel es ihm schwer, sich auf die Sicherheit der Sammlung von Ochsenschwänzen, Stoffbeuteln und kleinen Statuen zu verlassen, die vom Gürtel des anderen Mannes baumelten. In diesem urtümlichen Regenwald half es nichts, sie als Gardes, Arrets und Drogues anzusehen statt als Fetische, oder seinen Gefährten als Bocor und nicht als Hexenarzt oder Schamanen.
    Der Schwarze gestikulierte mit der Fackel und sah sich nach ihm um. » Nach links jetzt«, sagte er bedächtig auf Englisch, dann fügte er hastig in einem der heruntergekommenen französischen Dialekte Haitis hinzu: » Und gebt acht, wo Ihr hintretet – an vielen Stellen haben kleine Rinnsale den Weg unterspült.«
    » Dann geh langsamer, damit ich sehen kann, wo du hintrittst«, erwiderte Hurwood gereizt in seinem fließenden Lehrbuchfranzösisch. Er fragte sich, wie schlimm seine bis dahin perfekte Aussprache gelitten haben mochte, nachdem er im vergangenen Monat so vielen seltsamen Variationen der Sprache ausgesetzt gewesen war.
    Der Pfad wurde steiler, und schon bald musste Hurwood seine Machete wegstecken, weil er die Hand brauchte, um damit Äste festzuhalten und sich daran vorwärtszuziehen. Für eine Weile hämmerte sein Herz so erschreckend, dass er dachte, es würde bersten – trotz der schützenden Droge, die der Schwarze ihm gegeben hatte. Dann hatten sie so weit an Höhe gewonnen, dass sie aus dem Dschungel herausgelangten, die Seebrise fand sie, und Hurwood rief seinem Gefährten zu, er möge stehenbleiben, damit er in der frischen Luft zu Atem kam und ihre Kühle in seinem durchnässten weißen Haar und seinem feuchten Hemd genießen konnte.
    Die Brise raschelte in den Palmenzweigen unter ihnen, und durch eine Lücke, wo die Stämme etwas weiter standen, sah er Wasser – einen von Mondlicht gesprenkelten Abschnitt des Meeresgrabens. Er wurde Tiefseezunge – Tongue of the Ocean – genannt, und sie waren beide am Nachmittag von der Insel New Providence her hinübergesegelt. Er erinnerte sich, vom Meer aus die Anhöhe, auf der sie jetzt standen, bemerkt und sich gefragt zu haben, was es damit wohl auf sich habe, während er sich bemüht hatte, mit der Schot das Segel zur Zufriedenheit seines ungeduldigen Führers einzustellen.
    Andros Island hieß die Insel auf den Karten, aber die Menschen, mit denen er jüngst zu tun gehabt hatte, nannten sie im Allgemeinen Ile de Loas Bossals. Das bedeutete, soweit er es verstanden hatte, Insel der ungezähmten oder vielleicht genauer bösen Geister (oder, so schien es ihm bisweilen, Götter). Bei sich nannte er sie das Gestade der Persephone, und dort hoffte er, endlich zumindest ein Fenster in das Haus des Hades zu finden.
    Er hörte ein Gurgeln hinter sich und drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, dass sein Führer eine der Flaschen, die sie dabeihatten, wieder verkorkte. Der scharfe Geruch des Rums wehte bis zu ihm herüber. » Verdammt«, blaffte Hurwood, » der ist für die Geister.«
    Der Bocor zuckte die Achseln. » Zu viel mitgebracht«, erklärte er. » Zu viel, zu viele kommen.«
    Der einarmige Mann antwortete nicht, wünschte sich aber einmal mehr, dass er genug wüsste – statt nur annähernd genug –, um dies allein zu tun.
    » Fast da jetzt«, verkündete der Bocor, während er die Flasche wieder in dem Lederbeutel an seiner Schulter verstaute.
    Sie nahmen ihren stetigen Marsch über den feuchten Erdpfad wieder auf, aber Hurwood spürte jetzt etwas Neues – ihnen wurde Aufmerksamkeit zuteil.
    Der Schwarze spürte es ebenfalls und grinste über seine Schulter zurück, wobei er Zahnfleisch entblößte, das fast so weiß war wie seine Zähne. » Sie riechen den Rum«, erklärte er.
    » Bist du dir sicher, dass es nicht einfach diese armen Indianer sind?«
    Der Mann vor ihm

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