Lesereise Backsteinstaedte
begabet« gepriesen, übervoll mit Kornfeldern und fetten Wiesen, durchzogen mit Flüssen, in denen Aale und Krebse lebten, dazu die Kühlung, jener waldige mittelgebirgsähnliche Höhenzug im ansonsten platten Land. Dor wardst ’ne Sprak du hüren/ ’n Sprak so weik, so stur un wohr. Auch Frieda Ritzerow sprach platt, weich und stur und wahr. Ihr strohiges blondes Haar bürstete sie stets aus der Stirn zurück und steckte es im Nacken zu einem Vogelnest ähnlichen Dutt fest. Ihre Haut roch nach Seesternen, war blank gerieben vom Ostseesand. In ihren klaren wasserblauen Augen spiegelte sich der Horizont. Wenn die Seeschwalben auf Sandbänke bauen, konnte sie auf einen trockenen Sommer trauen. Kamen die Fische früh ans Licht, traute sie dem Tag, dem Wetter nicht. Das gute Wetter riss bald auch aus, wusste sie von klein auf, wenn früh rumort und pfeift die Maus und die Spinne ihr Netz nicht weiterbaut. Und fand man eine Katze gähnend liegen, hatte ihr die Großmutter erzählt, wird es über der Ostsee alsbald Gewitter geben.
Tief verwurzelt in Mäkelborg bereitete Frieda Ritzerow besonders gern Kartoffelspeisen zu. Und davon gab es unzählige, zum Beispiel Tüften un Plum , Kartoffeln und Backpflaumen in Salzwasser gekocht. Oder Kartoffeln mit frischen Birnen, Kartoffeln mit Graupen, mit Milch, mit Majoran, mit Speck. Wohl am häufigsten stand die tolle Knolle, die der Alte Fritz 1756 unters Volk gebracht hat, als Stampfkartoffel, Bratkartoffel, Heringskartoffel auf dem Tisch. Als Arme-Leute-Essen gingen Kartoffelbrot, Kartoffeln mit Leinöl, Kartoffelpfannkuchen und Kartoffelklöße mit Schwarzsauer (Schweineblut, durch zugefügten Essigsud geronnen und schwarz, mit Gänseklein oder Speckschwarten) oder Kartoffelklöße mit Sirupsoße in die Geschichte ein. Heute gelten Tüften als Spezialität. Sie sind reich an Vitaminen und Mineralstoffen und machen allen Vorurteilen zum Trotz nicht dick. Gewachsen in den eiszeitlichen Böden Mecklenburg-Vorpommerns haben sie zudem einen ganz eigenen herb-süßen Geschmack, was Köche auf Usedom zu Tüftentagen inspiriert hat. Alljährlich im September wetteifern Restaurants um das originellste Kartoffelgericht. Der Gewinner wird mit dem »Knollo« prämiert. Zu den Auserwählten in der letzten Saison zählten »Gebratenes Zanderfilet unter einer Kartoffel-Nusskruste mit Rahmspinat und Kartoffelstrudel« und »Hausgebeiztes Zanderfilet mit blau-weißem Tüftenschnee, mariniertem Feldsalat und Frisée«. Hätte Frieda Ritzerow mitgekocht, wäre sie ganz sicher auch in die Endrunde gekommen, sei es mit ihrem Kartoffelpudding aus zwölf Eidottern, sahnig gerührter Butter, Mandeln und geriebenen Kartoffeln oder mit ihrer Kartoffeltorte aus sechzehn Eidottern, einem dreiviertel Pfund Zucker, dem Saft einer Zitrone, Mandeln und Pellkartoffeln. Wer’t mag, de mag’t/ wer’t nich mag/ de mag’t jewoll nich/ mögen. Angebot zur Verdauung? Mindestens einen doppelten Schnaps oder im Winter, wenn zentnerschwere Eiszapfen an den Seebrücken hängen und sich Eisschollen am Ostseestrand auftürmen, gern auch einen heißen Punsch, wozu Frieda Ritzerow empfiehlt, dass man eine Flasche Weißwein, zwei Flaschen Rotwein, zwei Flaschen Wasser und eine Flasche Rum zusammengießt, zwei Pfund Zucker (ja, Mecklenburger lieben es süß!) und die Schale einer abgeriebenen Zitrone hinzufügt, anschließend das Ganze zum Kochen bringt.
1857, als Fritz Reuter sein Vers-Epos »Kein Hüsing« über die beklemmende Lage der Tagelöhner in Mecklenburg veröffentlichte, trat Frieda Ritzerow ihren ersten Dienst als Köchin im Hotel Hübner in Warnemünde an. In der Seestraße 12 hatte es der Schiffsausrüster Friedrich Gustav Hübner 1853 erbaut, samt kurmedizinischer Betreuung der Gäste mit Seetangbädern im benachbarten Warmbadehaus. Frieda Ritzerow, damals gerade dreiundzwanzig Jahre alt, brachte die nötigen Fähigkeiten für die verantwortungsvolle Position mit. Sie war energisch, aber nicht übermäßig streng, bodenständig und tüchtig und schreckte keinen Wimpernschlag davor zurück, fünf, sechs, mitunter sogar acht, neun oder zehn Gänge unter ihrer Regie herzustellen. Vorteilhaft wirkte sich fernerhin aus, dass sie eiserne Prinzipien hatte, was Ordnung und Sauberkeit in der Küche anbelangt. So impfte sie ihren Kaltmamsellen ein, dass jedes Geschirr, jedes Gerät seinen bestimmten Platz hat, an welchen es, nachdem es benutzt, abgewaschen und abgetrocknet, unverzüglich zurückzustellen war.
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