Lesereise Backsteinstaedte
Schwerin zwecks Verwendung für die dortigen Schlossbauten gekarrt. Zu Möckels Ehrenrettung sei außerdem gesagt: Sein selbst entworfenes Wohnhaus vor den Toren des Münsters ist bis heute ein Blickfang. 1885 mit Erkern, Türmchen, roten Klinkern, Fachwerk und bleiverglasten Märchenfenstern erbaut, wirkt das zweistöckige Anwesen wie ein Originalimport aus England, woher ja die Neugotik ursprünglich stammt. Schade nur, dass der wilde Wein nicht mehr an den Fassaden wuchern darf. Das hatte zur verwunschenen Aura gepasst. Der Küster im Bad Doberaner Münster, der Woche für Woche die Uhr aufzieht, indem er die Kurbel einhundertachtundzwanzig Mal dreht, kann vom Fenster auf der Westseite des Münsters direkt auf das Möckelhaus schauen. Wir können das gleich auch.
Doch zunächst – endlich! – zum Höhepunkt unserer Extratour, und das bedeutet, auf dem Mittelschiff entlang. »Direkt unter uns ist das Gewölbe!«, sagt unsere Münsterführerin. – »Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend, es wurde Morgen …«, sagt unser Kölner aus dem Ersten Buch Mose auf. – »Und Kirchengewölbe stellen ein Stück Himmelreich auf Erden dar!«, spielt ihm unsere Münsterführerin den Ball zurück.
Berühmt im Bad Doberaner Münster ist im Mittelschiff der Lettner-Kreuzaltar. Und wo das Kreuz mit seinen silbriggrünen Blättern (»Ich bin der Wein …«) von oben herab an einer Kette hängt, stehen wir, lugen durch ein Loch drum herum und können kaum fassen, dass die Gewölbekappe nur sechzehneinhalb Zentimeter dick ist! Ob das im biblischen Himmel auch so ist?
Die letzten Stufen führen uns zu den Glocken im Dachreiter, vierzig Meter hoch. »Die kleine Glocke wurde 1301 aus Bronze gegossen, wiegt fünfhundertvierzig Kilo, angeschlagen ein hohes A.« Die größere neben ihr aus Eisenhartguss ist ein Kind der DDR , wiegt mehr als doppelt so viel, sagt aber nichts mehr. Grund: ein Riss in der Aufhängung, weshalb die Glocke ruhen muss. Den Bad Doberanern fehlt ihr tiefes Fis, das zusammen mit dem A von einer wunderbaren Klangfülle gewesen ist. Vielleicht aber wird bald eine neue Glocke angeschafft. Die Aussichten stehen nicht schlecht, wo doch immer reichliche Spenden in den Erhalt der wohl schönsten Backsteinkirche an der Ostsee geflossen sind. »Sie kommen wieder?«, verabschiedet sich die frische forsche junge Frau von uns. »Klar! Mit Badehose!«, antwortet der Kölner prompt. »Für den Fall, dass das Münsterthermometer warmes Ostseewasser anzeigt.« Richtig überzeugend klingt das allerdings nicht. Vermutlich weil ihm (wie unserer ganzen Truppe) rätselhaft blieb, wie jene höhere Physik funktioniert. Wissen Sie’s?
Schüsselhecht, Tüften und Kompott
Mecklenburgisch kochen mit Frieda Ritzerow
Augen ausstechen – das machte ihr nichts aus. Ebenso wenig, Putern, Enten, Gänsen den Kopf abzuhauen. Ihren Kaltmamsellen pflegte sie zu sagen: »Eine alte Gans singt Tenor, eine junge Diskant!« Die Stimmlage Sopran also. Und selbstverständlich wusste sie exakt, in welcher Jahreszeit welches Geflügel zum Verspeisen taugt, womit außer Putern, Enten, Gänsen auch Birkhühner, Rebhühner, Küken, Waldschnepfen, Bekassinen, Krammetsvögel, Tauben, Wachteln, Lerchen, Fasane, Kapaune sowie Trappen, die großen Vögel aus der Familie der Kraniche, gemeint waren. Regelmäßig wurde das liebe Federvieh geschlachtet, gerupft und ausgenommen. Sei es für Entrees, wo es gedämpft, geschmort oder farciert zum Beispiel mit einer Austernsoße auf den Teller kam. Sei es für Frikassees, Pasteten oder eingelegt in Gelee. Und natürlich als Braten, gefüllt mit Apfelstücken, Rosinen und gestoßenen Mandeln, abgeschmeckt mit Zucker sowie einem Glas Rum. Frieda Ritzerow liebte ihre Arbeit und war mit jedem Handgriff vertraut. Schon als kleines Mädchen hatte sie beim Geflügelrupfen zugeschaut. Damals jedoch, auf Gut Mechelsdorf in der Nähe von Alt Gaarz zwischen Ostsee und Salzhaff, wo ihr Vater als Verwalter tätig war, musste sie oft weinen, wenn eines der Hühner wehe schnatternd unters Messer kam. An manch einem Abend, wenn der Mond in ihr Fenster sah, betete sie für ihre bernsteingoldene Ida, ihre Grete, ihre Bertha. Jedes Huhn auf Gut Mechelsdorf trug einen Namen. Eines sogar ihren, Frieda.
Die Gegend um Alt Gaarz (1938 von den Nazis nach einer hier vermuteten Wikingersiedlung in Rerik umbenannt – seltsam, dass man das bis heute beibehalten hat!) wird in Mecklenburger Chroniken als »von der gütigen Natur
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