Lesereise Backsteinstaedte
Todesdatum kennt man nicht. Spärliche biografische Notizen nur stehen im Vorwort zu ihrem Buch. Dass sie beispielsweise zwölf Jahre lang »in den fünf führenden Mecklenburger Hotels« als Köchin gearbeitet hat und die Schmackhaftigkeit ihrer Speisen hoch geschätzt war. Zwischen den Zeilen ihrer Rezepte indes verbergen sich Geschichten, Gerüche, Geräusche, aus denen sich ein Bild ihres Lebens im alten Mecklenburg entwerfen lässt – ein fantasiertes, wie es gewesen sein könnte und wie es hier versucht worden ist. Drücken wir die Daumen, dass alle, die mit Frieda Ritzerow gekocht haben und es noch immer tun, ihre Rezepte weitererzählen. Am liebsten in Platt, ’ne Sprak, de lacht, ’ne Sprak, der rohrt/ ’ne Sprak so lud und lisen . Das hat das »Mecklenburgische Kochbuch« verdient, Frieda Ritzerow zu Ehren!
Mit Karl Baedeker & Co. durch Rostock
Fundstücke aus dem Norddeutschen Antiquariat
Allein schon der eigentümliche, gegenwartsferne Geruch! Und das Papier! Mal ist es vergilbt, mal färbt die Druckerschwärze ab, mal ist es so porös, dass man es kaum antasten mag, oft liegt Staub auf den Kanten, hauchdünn, locken neugierig machende Eselsohren, vor allem aber die Fotos oder auch Aquarelle oder Stiche auf den Buchumschlägen. Häufigste Motive sind die monumentale Backsteinkirche St. Marien und ihr zu Füßen der Neue Markt, an dessen pastellfarbenen Hausfronten helle geschwungene Jalousien für Schatten sorgen. Andere Bände, Bildbände vor allem, werben mit dem Warnemünder Leuchtturm in Rostocks elegantem Ostseebad. 1898 wurde der Turm in Betrieb genommen, aus Ziegeln erbaut, mit weiß glasierten Ziegeln verblendet, den unteren Teil bis zur ersten Galerie setzen grün glasierte Ziegelbänder ab. Im Keller lagerten schwere Petroleumbottiche. Bis 1927 brannte in der Laternenstube Petroleumlicht. In vielen Büchern, Broschüren oder auch »Wanderkarten durch die Mecklenburger Bäder«, bunt wie die alten Lieder, verbergen sich mit Bleistift geschriebene anonyme Lebensausschnitte wie zum Beispiel in einem Bändchen über Brunshaupten mit Gut Fulgen und Arendsee: »Zur Erinnerung an unsere beglückende Reise an der Ostsee, Dein H. – Ostern 1931«. Aus jenen Mecklenburger Bauerndörfern machten die Nazis 1938 Kühlungsborn. Und auch diesen Namen behielt man bis heute bei. Krass, wenn man an die Umbenennungswut nach dem Untergang der DDR zurückdenkt! Und auch aus ihren Jahren finden sich Lebensspuren, zum Beispiel in einem Rostockporträt, in dem vorn ein Zettel mit Schreibmaschinenschrift klebt: »Für beste Leistungen im Kollektiv, LPG Tierproduktion Gustow/Rügen 1977«.
Bei jedem Buch, das man in die Hand nimmt und Seite für Seite erfühlt, fragt man sich, wer es wohl mal besessen hat? An welchem Ort es gelesen wurde? Mit welchem inneren Gewinn? Und man staunt nur so über die endlos scheinende Fülle literarischer Beschreibungen zum Mecklenburger Land, von denen das Norddeutsche Antiquariat in der Kröpeliner Straße 15 (Achtung, Eingang um die Ecke!) in Rostock kostbare Erstausgaben anzubieten hat. Doch nicht nur das. In den Regalen, die dicht an dicht bis unter die Decke reichen, ruhen auch inhaltsschwere Brocken zur Rostocker Stadthistorie, voluminöse Bild-Atlanten über Schiffe, Molenbau und Seerettungsmannschaften, Darstellungen über den schwedischen Zoll, den Hafen, die Neptunwerft sowie stapelweise Mecklenburger Monatshefte, Rostocker Hefte und die Klassiker op Platt von Reuter und John Brinckman. Walter Kempowski, der Rostocker Schiffsmakler- und Reedereisohn und unbequeme Biograf der Stadt, stöberte gern im Norddeutschen Antiquariat, besonders in jenem »Hinterstübchen«, schrieb er 1999, wo die »Schwarten« liegen, nach denen er vor Jahrzehnten überall vergeblich Ausschau gehalten hat. Andere prominente Schriftstellerkunden waren Uwe Johnson, Erwin Strittmatter und der Berliner Feuilletonist Heinz Knobloch. Auch der Kinder- und Jugendbuchautor Franz Fühmann gehörte dazu. »Liebe Schatzgräber und Schatzverteiler!«, beginnt einer seiner Postkartengrüße 1978 aus Ungarn ans Norddeutsche Antiquariat, Anschrift: 25 Rostock. Wie einfach unser Leben mal war!
Susanne Thorenz, die heutige Inhaberin, sie strahlt Kompetenz und abwartende Vorsicht aus, ist hilfsbereit und herzlich, bietet uns ein Glas Wasser an und einen Platz, wo wir ungestört stöbern können. Vor ungefähr zwanzig Jahren, erzählt sie uns, übernahm sie die »Schätze« von ihrer Vorgängerin Lore Neumann, der
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