Lesereise - Israel
Palästinensern mit Steinen beworfen. »Verdammte Araber!«, flucht Muhammad und lacht. »Es war absurd: Wir gingen gemeinsam zur Polizeistation, um Anzeige zu erstatten. Der Beamte traute seinen Augen und Ohren nicht, als wir zusammen eintraten«, kichert jetzt auch Ofir, der seinem arabischen Freund vor den Behörden Beistand leistete.
Was andere pessimistisch macht, ignorieren sie am liebsten. Sie glauben nicht, dass es jemals zur Aussöhnung kommen wird: »Wir werden den Frieden zwischen unseren Völkern nicht erleben«, sagt Ofir. Wenn sie aber nachts gemeinsam die koscheren Steaks grillen, feiern sie schon insgeheim ihren ganz persönlichen Frieden.
Erstklassige Zweite-Klasse-Bürger
Vor dem Gesetz mögen alle Bürger gleich sein, trotzdem fühlen Israels Araber sich bis heute benachteiligt
Naifa T. könnte die Verkörperung einer Erfolgsstory sein. Die sechsunddreißig Jahre alte, wonnige Araberin aus dem Norden Israels hat mehrere akademische Titel, spricht drei Sprachen und lehrt an zwei israelischen Universitäten. Hier korrigiert sie das Hebräisch in den Texten, die ihre Studenten, oftmals russische Einwanderer, bei ihr einreichen. Nach der Arbeit geht sie gern mit ihren jüdischen Freunden essen. Aber wenn sie abends zurück nach Hause in das arabische Dorf fährt, in dem sie mit ihrer Familie wohnt, wird sie an ihren benachteiligten Status in Israel erinnert: »Das Land da gehörte einmal unserer Familie«, sagt sie und zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen grünen Hügel, auf dem heute eine israelische Kleinstadt steht. »Nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 wurden wir enteignet.« Naifa ist eine erstklassige Bürgerin zweiter Klasse.
Jeder fünfte Israeli ist Araber. Allein der Versuch, einen passenden Begriff für diese rund eineinhalb Millionen Staatsbürger zu finden, ist schwierig. Rund achtzig Prozent von ihnen sind Muslime, der Rest Christen und Drusen. Sie bilden eine ethnische und religiöse Minderheit im Judenstaat, der sich im Dauerkampf mit ihren Verwandten im arabischen Umland befindet. Israelis und Palästinensern sind Israels Araber gleichermaßen suspekt: Die einen fürchten sie als fünfte Kolonne, die anderen betrachten sie als Kollaborateure. Offiziell bezeichnet man sie als »Araber Israels«, doch die meisten von ihnen lehnen diesen possessiven Genitiv als bevormundend ab. Palästinenser im Ausland nennen sie »Arab ad-Dahil« – die Araber von drinnen, die bei der Staatsgründung Israels 1948 im jüdischen Staat zurückblieben und nicht wie sie vertrieben wurden. Naifa hört diesen Begriff nur ungern. In ihren Ohren klingt er abfällig. In der Suche nach einer neutralen Bezeichnung spiegelt sich der heikle Versuch, politisch nirgends anzustoßen. Zumeist bezeichnen sie sich schlicht als »Araber«, als Ausdruck ihrer Sprache und Kultur. Rund ein Viertel sieht sich als »Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit«, neunzehn Prozent definieren sich über ihre Religion. Nur jeder Zehnte bezeichnet sich selbst in erster Linie als Israeli.
Die kleine, mollige Naifa kann stundenlang von erniedrigenden Erfahrungen erzählen, die sie in Israel gemacht hat. Mit dem schweren Schmuck, dem leuchtend roten Lippenstift, den frechen dunklen Augen und ihren pechschwarzen Haaren ist sie als Araberin sofort erkennbar. Während der Intifada , als die Angst vor Selbstmordattentaten groß war, durchsuchten Polizisten an öffentlichen Orten ihre Taschen, als wäre sie eine Terroristin. »Einmal suchte ich eine Wohnung und ging die Anzeigen in den Tageszeitungen durch. Doch die Telefongespräche endeten abrupt, wenn die andere Seite meinen arabischen Namen hörte«, sagt Naifa mit einem bitteren Lachen, so, als wäre das ein unabwendbarer Normalzustand. Bei Juden stellt sie sich deswegen inzwischen unter dem Namen Niva vor: »Das klingt russisch.« Vier von fünf Arabern berichten von solchen Erfahrungen. Viele Juden wollen nicht mit einem Araber im selben Gebäude wohnen und nennen die arabische Kultur »primitiv«. Der Klang der arabischen Sprache löst bei jedem zweiten Israeli »Angst« und bei jedem dritten »Hass« aus. Diese Feindseligkeit wird durchaus erwidert: Etwa die Hälfte der Araber will nicht neben Juden wohnen, rund sechzig Prozent stellen das Existenzrecht Israels in Frage, vierzig Prozent der arabischen Israelis behaupten, die Schoah habe nie stattgefunden.
Das Misstrauen und jahrzehntelange Kriege führen zu mannigfacher Benachteiligung arabischer Israelis.
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