Lesereise - Israel
Die Landfrage gilt als dringlichstes Problem: In großen Teilen Galiläas machen Araber mehr als siebzig Prozent der Bevölkerung aus, aber ihnen stehen nur sechzehn Prozent der Landreserven zur Entwicklung ihrer Städte zur Verfügung. Seit seiner Gründung hat Israel mehr als siebenhundert jüdische Dörfer und Städte errichtet. Im selben Zeitraum ist keine einzige arabische Stadt entstanden, obwohl sich die Zahl der Araber verzehnfacht hat. Die muslimischen Araber bilden, gemeinsam mit den ultraorthodoxen Juden, die unterste soziale Schicht der israelischen Gesellschaft. Das Durchschnittsgehalt eines Arabers liegt neunundzwanzig Prozent unter dem eines Juden, die Armut ist hier doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Nur ein Drittel der muslimischen Araber schafft es bis zum Abitur, fünfzehn Prozent weniger als der Landesdurchschnitt.
Menschen wie Naifa geben dem Staat die Hauptschuld für ihre Probleme und erwägen auszuwandern. Dass das Problem aber komplexer ist, zeigt sich an dem Beispiel ihres jüngeren Bruders. Träge sitzt der arbeitslose junge Mann mittags vor dem Fernseher. Er ist enttäuscht und hat keine Lust mehr, nach einem Job zu suchen. Im Hightech-Staat Israel hat er sein Studium als Computerprogrammierer nie abgeschlossen, sein Englisch besteht aus wenigen Brocken. Trotzdem ist für ihn klar, was der wahre Grund dafür sein soll, dass er keine Anstellung findet. »Sie wollen mich ja nur nicht, weil ich Araber bin«, sagt er und zappt zum nächsten Fernsehkanal.
Das Schicksal seiner Schwester zeigt jedoch, dass es auch positive Entwicklungen gibt. Inzwischen ist es vielen Arabern gelungen, selbst im jüdisch dominierten Israel in die obersten Etagen aufzusteigen. Im Jahr 2007 wurde Ghaled Madschadla erster arabischer Minister. Im Außenministerium arbeiten bereits mehrere arabische Botschafter. Im Jahr 2006 beschloss die Regierung, eine neue arabische Stadt zu errichten, und gewährte arabischen Städten Steuervergünstigungen. Auch die kulturelle Barriere scheint langsam zu zerbröckeln. Arabische Journalisten werden in Fernsehen, Zeitungen und Radio zunehmend sicht- und hörbar, im Jahr 1999 wurde eine Araberin zu Israels Schönheitskönigin gewählt. Auch wenn der Weg bis zur Gleichberechtigung noch weit ist, scheinen sich die meisten im Land wohlzufühlen. Eine Harvard-Studie aus dem Jahr 2008 zeigt, dass siebenundsiebzig Prozent der Araber lieber in Israel leben wollen als in jedem anderen Staat der Welt. »Trotz aller Probleme, der Staat Israel ist mein Zuhause«, sagt Naifa.
Vom Feind zum Kunden
Die israelische Flugsicherheit stellt nicht nur an ahnungslose Touristen manchmal hohe Anforderungen an Geduld und Toleranz
Es ist noch nicht lange her, da war für viele israelische Araber ein Flug in den Urlaub kein Anlass zur Freude, sondern für tiefen emotionalen Stress. »Den ganzen Weg zum Flughafen saßen Familien fröhlich mit lauter Musik im Wagen, doch sobald man sich dem Flughafen näherte, änderte sich die Atmosphäre«, erzählt Ibrahim Abu Schindi, ein Araber aus dem Tel Aviver Stadtteil Jaffa. Die Musik wurde ausgeschaltet, jeder Hinweis darauf, dass man Araber war, verängstigt vertuscht. Die Furcht war Resultat langjähriger Erfahrungen. Manchmal hielt das Sicherheitspersonal am Flughafen Familien stundenlang in Verhören fest, Eltern mussten sich vor den Augen ihrer Kinder erniedrigenden Untersuchungen unterziehen. Araber wurden aus gemischten Gruppen herausgefischt und gesondert überprüft. »Ich kam immer viele Stunden vor dem Abflug zum Terminal, war aber stets der letzte Passagier, der das Flugzeug boarden konnte. Immer wieder stellte man mir dieselben Fragen und behandelte mich wie einen potenziellen Terroristen«, sagt Abu Schindi.
Für viele jüdische Israelis sind alle Araber gleich. Äußerlich scheint Abu Schindi der Prototyp der israelischen Araber zu sein. Er gehört zu den Alteingesessenen Jaffas. Er kann seinen Stammbaum bis 1792 zurückverfolgen, als seine Vorfahren sich hier, in der wichtigsten Hafenstadt Palästinas, ansiedelten. Wie die Mehrheit der Araber Palästinas flüchtete auch der Großteil seiner Familie im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948, den die Palästinenser einfach nur Naqba , die Katastrophe, nennen. »Ich habe heute fast in jedem arabischen Staat Verwandte«, sagt Abu Schindi. Doch da endet die Ähnlichkeit zu anderen arabischen Staatsbürgern Israels. Als dieser kleine, stämmige, glatzköpfige Mann knapp zwölf Jahre alt war,
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