Lesereise Kanarische Inseln
persönliche Lieblingsinsel finden. Unsere heißt mit offiziellem Namen La Isla de San Miguel de la Palma
Es soll immer noch Leute geben, die La Palma nach flüchtigem Katalogstudium buchen und sich dann wundern, dass sie nicht in Palma de Mallorca oder in Las Palmas de Gran Canaria landen. »Aber nachher beschwert hat sich noch keiner«, sagt unsere Nachbarin, die in einem Reisebüro arbeitet. Wir buchen Ferienhaus und Leihwagen per Telefon. Bei Leuten, die schon seit drei Generationen auf der Isla Bonita, der »schönen Insel« leben. Es gibt nicht viel, was sie in der neuen Heimat vermissen. Außer Schokoladenosterhasen und Eierfarbe vielleicht. Als sie vor fünfzig Jahren aus gesundheitlichen Gründen von Berlin auf die Kanaren auswanderten, wollte der Leiter der Berliner Hauptpost kein Telegramm für ein Eiland annehmen, das seiner Kenntnis nach nicht existierte. Inzwischen gibt es seit mehr als zwanzig Jahren Direktflüge auf die Insel. Es ist geradezu ein Wunder, dass trotzdem manch einer gar nicht weiß, wo La Palma eigentlich liegt.
Wir fliegen vor Ostern mit vielen Schokohasen und Eierfärbetabletten los. Die erste Ration geht an die Autovermieterin, die am Flughafen wartet. Nach fünf Minuten drehen wir den Zündschlüssel
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des Leihwagens und rollen los. Der Cumbre entgegen, dem Scheidegebirge, das sich wie ein steinernes Rückgrat durch das grüne La Palma zieht. Nach weiteren zwei Minuten stellt unsere Großmutter mit Blick auf die vulkanischen Hänge wie jedes Mal fest: »Irgendwann rutscht das alles mal ins Meer ab.« Dann wissen wir, dass der Urlaub begonnen hat, und schrauben uns auf der von Wolken verhangenen Asphaltpiste den Kraterbergen entgegen, bis uns der große Tunnel verschluckt. Am Ende des Tunnels scheint eine Flamme zu lodern. Aber keine Feuersbrunst wartet auf uns. Es ist vielmehr die Sonne, die meistens nur im Westen scheint. Beim Blick in den Rückspiegel sehen wir, wie die Wolken als gigantischer wattiger Wasserfall auf den Hängen Rutschbahn fahren, bevor die Hitze sie aufzehrt. Wir müssen an der ersten Kneipe nach dem Tunnel halten, um Ziegenleber in scharfer roter Soße zu essen und ein Bier zu trinken. Nicht weil der Lkw-Fahrer-Stopp eine lauschige Bodega wäre, sondern einfach, weil wir das immer so tun und dann ganz sicher sind, dass wir angekommen sind. Und weil wir den ersten Blick auf das Haus noch ein wenig hinauszögern wollen. Wir sagen »unser Haus«, obwohl es sich ganz klar um ein Mietobjekt handelt, das wir nur einmal im Jahr für zwei Wochen bewohnen.
Wenn die Straße hinter Los Llanos der Küste zustrebt, meint man für einen Moment, die Piste führe direkt ins endlose Ozeanblau. Dann kommt doch eine Kurve und man sieht ganz weit entfernt das Haus als weißen Klecks auf schwarzem Lavagrund, drei Palmen als grüne Garnitur dazu und das matte
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Auge des noch ungefüllten Schwimmbeckens. Wenn wir endlich vor der blauen Eingangstür stehen, sind wir fast zu Tränen gerührt. Es ist alles so wie immer. Ein weißes Haus mit blauer Tür und blauen Fenstern. Eidechsen, die durch den Garten rasen, wenn unsere Schritte auf dem Lavakies knirschen. Der Schlüssel, den man nicht rechts, sondern links herum drehen muss. Als Erstes hängen wir den Wasserschlauch in den kleinen Pool.
Dann gehen wir unseren Urlaubsanimateur suchen. Die Tigerkatze Lira nämlich, die irgendwann beschlossen hat, dass sie zu diesem Haus gehört. Wenn die rotgestreifte Schöne endlich mit stolzem Gang zwischen Hibiskus und Tamarisken auftaucht, ist alles in Ordnung. Wir kaufen ihre Lieblingssorte Trockenfutter. Dafür gibt sie uns Unterricht im Faulsein oder liegt einfach neben uns, während wir die Bücher verschlingen, die wir das Jahr über zur Seite legen, bis wir endlich Zeit dafür finden, hier in La Palma nämlich. Auch die anderen Tiere sind da. Das Ringeltaubenpaar, das jedes Jahr in der höchsten Palme nistet. Die Eidechsen, die Fruchtjoghurt von den Füßen unserer Tochter schlecken. Der Gecko, der in der Küche hinter dem Stapel Suppenteller lebt.
Wir machen nicht viel in La Palma, weil wir die Insel längst kennen. Wir sind zigmal im Süden über den glühheißen Boden der jungen Lavafelder gestapft. Wir kennen jede Gasse in den adretten Städtchen Santa Cruz und Los Llanos. Wir sind schon oft durch die Lorbeerwälder von Los Tilos gestreift oder in der Caldera geklettert. Manchmal haben
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wir Lust, eine solche Tour zu wiederholen. Meistens aber bleiben wir bei Katze Lira,
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