Lesereise Kanarische Inseln
Garten Eden. Papayabäume breiten ihre schirmartigen Blätterdächer über Avocadoplantagen, Zitronenbäumchen und Kaffeesträucher. Im Winter leuchtet das Gras, das jetzt von der Sonne wie geröstet erscheint, in grellem Grün. Schön restaurierte fincas ducken sich unter hohen Palmen, lassen die türkisen Augen ihrer Swimmingpools aufglitzern. An Hausmauern ranken sich rosa, violette und gelborange Bougainvillea und tiefroter Hibiskus. Kurve um Kurve verengt sich das Tal. Die
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Straße wird zur schmalen Forstpiste. Nach kurzer Holperfahrt ist der mirador erreicht, von dem aus man das ganze Tal mit seinen Terrassenfeldern und dunkelgrünen Wasserbecken im Blick hat. Etwas unterhalb liegt das einstige Thermalhotel. Seit seine Quellen nicht mehr genutzt werden, liegt das Haus in einer Art Dornröschenschlaf. Nur noch wenige Gäste finden hierher.
Der Barranco de Agaete ist eine Sackgasse. Man muss auf gleicher Straße zurück, wieder hinunter nach Agaete, dieser ganz ursprünglich und unverdorben gebliebenen kanarischen Kleinstadt. Anfang August wird hier die Fiesta de la Rama gefeiert, ein fröhliches Fest mit Tausenden von Menschen, das noch auf vorchristliche Ursprünge zurückgeht. Man zieht von hier aus hinunter nach Puerto de las Nieves und peitscht in dessen Bucht mit Zweigen das Wasser des Ozeans, um auf diese Art um Regen zu flehen. Vielleicht steht der Atlantik ja im Dialog mit den Passatwolken und richtet diesen die Bitte aus?
Schon Tage vor dem Fest ist Agaete geschmückt mit unzähligen bunten Wimpeln und Fähnchen, die an langen Schnüren über Straßen und Plätze gespannt sind und munter in der Brise flattern. Noch ist kaum ein Mensch auf der schönen plaza vor der Pfarrkirche, die in wenigen Tagen dicht bevölkert sein wird, wenn das Fest beginnt. Um den Kirchplatz herum finden sich gekalkte Häuser mit kanarischen Holzbalkonen, deren Lackierung wie Honig in der Sonne glänzt. Eine Treppengasse führt nach oben, über und über mit Blumentöpfen geschmückt. Señor Pedro tritt aus dem Haus, knipst hier und da
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eine verwelkte Blüte ab, schaut nach, ob die Erde in den Töpfen noch feucht genug ist. Er und seine Frau haben diese Gasse zu einem Garten gemacht und kümmern sich täglich mehrere Stunden um die Pracht. Pedro lädt uns ein, mit in sein Haus zu kommen, den Blick vom Balkon zu genießen, wo ein Dutzend Singvögel in Käfigen sitzt und tiriliert, als gelte es, die Siesta mit einem glanzvollen Konzert zu beenden.
Nördlich von Agaete schiebt sich die Punta Sardina mit ihren purpurroten Tuffsteinfelsen hinaus in den blauen Atlantik. Fischerboote dümpeln im Schutz der Hafenmauer. Krebse turnen über die Betonblöcke, die hinter der Mole wie Bauklötze eines Riesen ins Wasser gekippt sind und als Wellenbrecher dienen. Der Leuchtturm erhebt sich ein Stück außerhalb des Dorfes an exponiertem Punkt. Wild schäumen die Wellen um die Felsen. Wie Schneefelder blenden die Gischtseen das Auge, tosen über die Steine, ziehen sich zurück, kehren zurück und schleudern Algenfetzen über Basaltblöcke. Wenn der Ozean einen Augenblick ruht, Atem holt, um eine weitere Woge in perfekter Krümmung zu formen, leuchtet das Wasser in grellstem Türkis. Dann baut sich die nächste Welle auf und braust wütend auf das ihr Einhalt gebietende Ufer. Stundenlang könnte man am faro stehen, sich das Haar vom Wind strähnen lassen und zuschauen, wie der Ozean tobt und mit der Küste zu ringen scheint.
Die Straße, die von Agaete aus nach Süden führt, gilt als Traumroute der Insel und wird oft mit dem legendären Highway 1 an der kalifornischen Küste
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verglichen. In endlosen Kurven folgt die Chaussee den Launen der Topografie. Nahe dem Weiler Andén Verde liegt ein mirador mit Panoramablick über Säulenkakteen, Agaven und Flecken von Wildblumen, die wie hängende Gärten über dem kobaltblauen Atlantik schweben.
Nirgendwo zeigt sich Gran Canarias Küste so unberührt wie hier im wilden Westen. Noch weiter westlich, am Mirador El Balcón fällt die Küste fast senkrecht ab. Im Gegenlicht wirken die hintereinander gestaffelten Felsen wie eine Gruppe von Giganten, die sich ins Meer stürzen wollen. Krähen nutzen die Thermik an der steilen Wand für Flugübungen. Nichts ist zu hören, außer dem Sirren des Windes und einzelnen Vogelschreien. Der Ozean erscheint endlos, als wolle er verschmelzen mit Himmel und Horizont.
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Liebeserklärung an La Palma
Auf den Kanaren kann jeder seine ganz
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