Lesereise Malediven
Natur sich an Land erheblich artenärmer präsentiert als unter Wasser, bietet sie immer neue Spektakel. Am Nachmittag erwachen die Flughunde, um im Wald nach Früchten zu suchen. Wie riesige Fledermäuse segeln sie am blauen Himmel, um sich dann wieder dekorativ kopfüber in einen Banyanbaum oder in eine Palme zu hängen. Auf dem Weg zum Restaurant weichen wir kreuzenden Krebsen auf den Wegen aus, beim Duschen beobachten uns kleine Geckos. Als wir am Abend auf der Terrasse den von funkelnden Sternen übersäten Himmel auf Sternschnuppen untersuchen, vibriert der Dschungel vor Leben und Geräuschen: Zeternde Flughunde balgen sich in den Bäumen, Nachtvögel schreien.
Der fünfte Tag: Robinsonade
Drei, vier Mal sind heute schon Menschen an unserem Strand entlanggegangen. Es wird langsam ein bisschen voll. Zeit also, die einsame Insel gegen eine noch einsamere zu tauschen. Virgin Island wird sie passenderweise genannt, was auf jeden Fall leichter auszusprechen ist als ihr tatsächlicher Name: Medhufinolhu. Eigentlich besteht sie sogar aus zwei Inseln, die durch eine leuchtend weiße Sandbank miteinander verbunden sind. Hier sind wir tatsächlich die einzigen Menschen – neben unserer Crew. Außer dem Puderzuckerstrand besitzt die jungfräuliche Insel eine türkisfarbene Lagune und ein grandioses Hausriff. Perfekte Bedingungen also zur Fischbeobachtung. Das Wasser ist so klar, dass man schon vom Strand aus die Meeresfauna anschauen kann. Angesichts dieser Kulisse ist es schwer, nicht reflexartig an Paradies und Postkarten zu denken. Und sich nicht gleich auch Sorgen zu machen: dass dieses – nun ja, dieses Paradies – womöglich der Erderwärmung und steigenden Meeresspiegeln zum Opfer fallen könnte. Auch wenn Präsident Mohamed Nasheed sich einen Ruf als Held des Klimaschutzes erkämpft hat, kann man sich schwerlich darauf verlassen, dass der seine Inseln im Alleingang rettet. Den größten Dienst erwiese man den Inseln gewiss, wenn man zu Hause bliebe …
Der sechste Tag: Landeskunde
Schon seit Tagen beobachten wir, dass auf der bewohnten Insel gegenüber abends zahlreiche Lichter in der Größe von Straßenlaternen angehen. Was mag da los sein? Hithadhoo, so heißt das Eiland, ist mit tausendeinhundertachtundzwanzig Einwohnern für die hiesigen Verhältnisse zwar nicht gerade klein. Hell erleuchtete Straßen scheinen angesichts von in der Regel fast vollständiger Abwesenheit von Fahrzeugen dennoch unnötig. Wir wollen nachsehen und setzen mit dem Dhoni über. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt, weil das Boot streckenweise in Zeitlupentempo zwischen flachen Korallenbänke hindurchgesteuert werden muss. Dann sind wir da: auf einer Insel, von deren Bewohnern drei Viertel von der Fischerei leben. Allerdings wird heute nicht mehr für den eigenen Bedarf gefischt, sondern der Fang nach Mal é verkauft. Breite Straßen durchziehen die Insel, doch gibt es auch hier keinen Asphalt. Feiner Sand bedeckt die Straßen, an ihren Seiten stehen Stühle, die aus einem Blechgestell mit einem Netz darin bestehen – Hängematten zum Sitzen. Das Leben scheint ruhig zu verlaufen. Die Menschen flanieren – es gibt nur zwei Autos auf der Insel – oder sitzen in den Stühlen vor ihren Häusern, um die Flanierenden zu beobachten und zu begrüßen. Auf einem Feld wird Fußball gespielt. Es gibt einen Kindergarten, eine Schule, eine Krankenstation, zwei Moscheen und ein Café. Im Kindergarten gibt es irritierenderweise einen Sandkasten, aber auch die inseltypischen Hängestühle im Miniaturformat. In der Schule ist Fischerei ein Wahlfach. Tatsächlich erlernen heute viele junge Leute das Fischen nicht mehr selbstverständlich von ihren Eltern. Die Arbeit auf den Resort-Inseln ist für viele erstrebenswerter. Allein durch Trinkgelder nehmen die Beschäftigten dort ein Vielfaches von dem ein, was der Verkauf von Thunfisch in der Hauptstadt einbringt.
Der siebente Tag: Lichttherapie
Der letzte Tag gehört noch einmal Sonne, Meer – und dem Abschied, der uns nun bereits vorkommt wie die Vertreibung aus dem Paradies. Unser Strandnachbar Andrew kommt auf dem Weg zum Schnorcheln vorbei und zeigt uns die Fotos, die er gestern am Riffrand von einem gewaltigen Manta gemacht hat. Wir schauen selbst noch einmal am Hausriff nach dem Rechten. Heute sind keine Haie unterwegs, dafür sehe ich einen kleinen Rochen, viele Seesterne und Schwärme leuchtend bunter Fische. Ich liege auf dem Wasser, lasse mich treiben und höre den Fischen beim
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