Lesereise Mallorca
seiner Frau gekauft hatte und nebenan ein paar Meter tiefer am Hang ein Wohnhaus bezog und ein großes Atelierhaus vom bekannten Architekten Josep Luis Sert errichten ließ. Serra aber schaute über den Tellerrand und hatte davon in der New York Times gelesen.
Er wusste, dass dieser im Ausland so viel beachtete Künstler enorm pressescheu war, öffentlichkeitswirksame Auftritte ganz und gar nicht liebte und nichts mehr schätzte, als möglichst viel Ruhe für seine Arbeit zu haben. Als Reporter Serra dennoch am Tor klingelte, erschien ein kleiner und leicht gebeugter Mann in grauem Arbeitskittel, mit freundlichem, etwas rundlichem Gesicht, der sich alles anhörte, was der Überraschungsbesucher vortrug: dass er für die Lokalzeitung arbeite, gerne ein Interview mit Señor Miró führen und sich auch persönlich stark für dessen Kunst interessieren würde. Der kleine Herr hinter dem Tor stellte sich als Gärtner des Hauses vor und bedauerte: Was für ein Pech, aber Herr Miró sei erst kürzlich mit der Gattin in die USA gereist, wirklich sehr schade, und er würde für länger unterwegs und einige Wochen, wenn nicht Monate, nicht in dem neu erworbenen Anwesen auf Mallorca anzutreffen sein.
Serra bedauerte, plauschte noch ein wenig und bat den freundlichen Gärtner, Grüße auszurichten und die Idee mit dem Interview mal bei passender Gelegenheit vorzutragen, wenn der Künstler wieder zurückgekehrt sei.
Monate später nahm er einen neuen Anlauf – diesmal gemeinsam mit einem Bekannten Mirós, der tatsächlich eine Verabredung mit dem Künstler in dessen Haus hatte. Entsprechend wurden sie erwartet, und Serra lernte einen kleinen stillen Mann mit rundlichem Gesicht, mit dünnem Haar, schelmischem Blick und leichtem Schmunzeln in den Mundwinkeln kennen: eine Persönlichkeit, die ihn beeindruckte – keiner, dem der Erfolg zu Kopf gestiegen war. Viel eher ein einfacher Mann, ein unscheinbarer und freundlicher älterer Herr von damals vierundsechzig Jahren.
Gegen Ende des Treffens konnte er nicht mehr an sich halten, und es platzte aus ihm heraus, wie unglaublich dieser Zufall sei: »Ihr Gärtner sieht Ihnen in einer Weise ähnlich, dass man es nicht glauben mag. Als wären Sie Geschwister!« Miró schwieg. Und er lächelte. Heute ist es Pere Serra, der diese Geschichte des eigenen Irrtums mit einem Lausbubenlächeln weitererzählt.
Bei dem Besuch hatte er erfahren, wie gerne Miró frische Mandarinen, Orangen und Zitronen aß. Und weil die Eltern zu Hause in Sollér viele davon hatten, kam er regelmäßig zurück und klingelte am Tor oben am Hang in Cala Major: um eine Kiste für Herrn Miró abzugeben. Mal waren es Mandarinen, in der nächsten Woche Orangen, dann ein paar Zitronen, schließlich wieder Mandarinen. Manchmal stellte er sie einfach nur ab, ein anderes Mal drückte er sie dem vermeintlichen Gärtner in die Hand. Einmal verschenkte er zusätzlich selbst geangelte Fische. Und ein weiteres Mal wurde er schließlich hereingebeten, und die beiden plauderten: über Mandarinen und das Tal von Sollér, das Miró so liebte. Über das Malen, über Mallorca, über die Kunst an sich, über Gott und ab und zu auch über die Welt. Es war der Beginn jener Freundschaft.
Eine ihrer Gemeinsamkeiten war der bescheidene Auftritt. Serra pflegt ihn bis heute, kann selbstironisch sein und kommt nicht auf die Idee, mit dem zu protzen, was er erreicht hat: Er ist Verleger geworden, ihm gehören die Tageszeitungen Última Hora , Diari de Balears und Majorca Daily Bulletin , dazu die deutschsprachige Wochenzeitung Mallorca Magazin , zwei Radiosender, eine Großdruckerei. Und er hat, fast nebenbei, eine der bedeutendsten Sammlungen moderner Kunst in Spanien aufgebaut und deren Werke in seine Fundació Serra eingebracht. Dafür schlägt sein Herz. Und nach den Erinnerungen sind diese Gemälde sein zweiter großer Schatz.
Sie umgeben ihn zu Hause in Sollér ebenso wie im Büro in Palma. Dabei ist es eher so, als wohnten sie mit ihm, als dass er sie präsentieren würde. Sie sind da, sind nah bei ihm. Sie sind nicht gehängt, um größtmöglichen Eindruck zu schinden, sondern eher gruppieren sie sich eng um ihn, als schauten sie einander zu – er den Bildern, die Bilder ihm.
Die Decke in seinem Verlegerbüro ist niedrig, der Raum nicht allzu groß – kein Repräsentationszimmer mit hohen, breiten weißen Wänden und Stuckornamenten, kein Altbaupalais. Es ist Platz für den Schreibtisch und seinen Ledersessel, für einen
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