Lesereise Paris
mobilisieren Frankreichs Traditionshäuser für ihr Überleben. Familienunternehmen, die Einzelstücke für qualitäts- oder schönheitsbesessene Liebhaber herstellen, stehen auf der Liste vom Aussterben bedrohter Arten. Die Luxusmetiers funktionieren nicht mehr wie ehedem. Die dreiundzwanzig Ateliers der haute couture mit ihren zweitausend Beschäftigten, aber nur noch einigen Hundert Kundinnen, in der ganzen Welt sind zu Fassaden industrieller Konglomerate geworden. Die haute couture von heute lebt nicht davon, dass sie ihre Modelle für zehn- bis sechzigtausend Euro verkauft. Es könnte sich nur noch als Reklamegag rentieren, wenn Dior wie früher mit Mannequins und Kollektion zu einer Privatmodeschau für die Damen eines ägyptischen Baumwollmagnaten nach Kairo flöge. Das Geld wird mit den Milliarden gemacht, die Konfektion, Parfums, Schuhe und Accessoires unter dem Namen der haute couture umsetzen. Diese Namen sind wesentlicher Bestandteil der Ware. Wer sich den Luxus zweiter Güte leistet, will den Namenszug außen haben, als Statussymbol, sichtbar wie eine Automarke. Selbst couturiers werden kreiert. Talent genügt nicht. Es hätte für Christian Lacroix vermutlich als Plattform zum Erfolg nicht ausgereicht, dass er Entwerfer bei Hermès und künstlerischer Direktor von Jean Patou war. Die Gruppe Financière Agache, der neben anderen Dior und die Schuhfirma Celine gehören, entschloss sich, ein neues Haus der haute couture zu lancieren. Hauptfigur der Handlung – Lacroix, tragende Rollen – erstklassige PR -Leute und dynamische Geschäftsmänner.
Große Namen kann man machen oder kaufen. So ist die Nummer zwei des Cognac, Martell, unter Kontrolle des kanadischen Konzerns Seagram geraten (Champagner: Mumm, Perrier-Jouët; Whisky: Chivers, Glenlivet; Portwein: Sandeman). Der britische Konkurrent Grand Metropolitan (Whisky, Wodka: Smirnoff; Immobilien, Ladenketten) wurde knapp geschlagen. Der Preis war vierzigmal so hoch wie der Jahresgewinn von Martell. Aber für den Spirituosen-Giganten, der seine Angebotspalette weltweit um einen Cognac von Prestige ausweiten wollte, wäre es mutmaßlich noch teurer gewesen, das Renommee einer kleinen Marke aufzubauen. Mit ähnlichen Hintergedanken wird um das Etikett Bénédictine gerungen. Schon werden Weingüter des Bordelais für dreistellige Millionensummen an Gesellschaften verkauft. Die Erbschaftssteuer von vierzig Prozent beim Übergang von Eltern auf Kinder wird bei steigenden Preisen für private Besitzer unerschwinglich. »Wenn das so weitergeht, gibt es in der nächsten Generation keine Familienbetriebe mehr«, prophezeit ein Winzer.
Überhaupt die Namen. Nirgendwo sonst sind sie so sehr Schall und Rauch oder Schall und Hauch wie bei Parfums. Nur Fachleute wissen, dass die zehn markenführenden Unternehmen nicht die sind, deren Signum auf den kostbaren Flakons erscheint. Vielmehr heißen sie International Flavors and Fragances, Naarden und PPF (alle drei Unilever), Roure-Bertrand-Dupont und Givaudan (beide Hoffmann-La Roche). Haarmann und Reimer, Firmenich, Florasynth, Bush Boake Allen und Takasago. Sie teilen sich die Hälfte des Weltmarktes. Die Entwicklung eines Parfums ist nicht länger Sache genialer Nasen im südfranzösischen Grasse oder in einem Pariser Atelier. Die Multis lassen Teams von mehreren Dutzend Spezialisten arbeiten, gewöhnlich zwei bis drei Jahre lang. Bevor ein neues Parfum von Dior herauskommt, werden seine kommerziellen Möglichkeiten in mehreren Ländern ausprobiert. Längst bestehen die meisten Parfums zu zwei Dritteln aus synthetischen Essenzen. Um ein Kilo Rosenöl zu gewinnen, braucht man drei Tonnen Blüten, mindestens zwanzigtausend an der Zahl, von Hand zu pflücken, was den Preis des Endprodukts auf fünftausend Euro pro Kilo treibt. Das Kilo synthetischer 2-Phenylethylalkohol kostet kaum einen Euro. Natürliches Sandelholzöl kommt auf dreihundert Euro pro Kilo, Ersatz auf zehn. Kein Wunder, dass Eau Sauvage (Dior) nach Dimethylhydrojasmonat duftet statt nach dem überholten Jasmin.
Auf den Champs-Elysées, der Prachtstraße von Paris, ist der Travellers Club mit seiner strengen Mitgliederauswahl die einzige Oase der Exklusivität geblieben. Zu beiden Seiten der Straße gibt es Großbanken, Büros von Fluglinien, Autoschauräume, aber nur noch ein Restaurant, Fouquet’s, das die Bezeichnung elegant beansprucht. Vor sechzehn Kinos mit zusammen neunundfünfzig Sälen stehen am Abend Schlangen, doch wer flanieren will, findet
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