Lesereise Paris
beibehielten. Größere Käufe müssen – theoretisch – per Scheck bezahlt werden – und in Frankreich gibt es kein Bankgeheimnis; nicht jeder kleine Anhänger, aber alles Wertvolle an Schmuck muss in die Steuererklärung.
Die Tage sind nicht mehr, da Paulette Goddard Verkäufer von Van Cleef in einer Laune zum Friseur bestellte, um sich, Haarwickler auf dem Kopf, eine neue Brosche zeigen zu lassen. Indiens Maharadschas sind abgesetzt. Die Emire vom Golf, deren Frauen noch gegen Ende des letzten Jahrhunderts an der Place Vendôme Juwelen aussuchten, so wie andere Eier kaufen, leiden unter dem Sturz der Erdölpreise und dem Dollarverfall. Ohnehin hatten die Juweliere nie ihre volle Freude an einer Kundschaft, der es mehr auf die Größe der Steine als auf deren Reinheit ankam. Schon gar nicht mehr könnte sich ereignen, was an einem Abend der Belle Époque bei Maxim’s geschah. La Belle Otero, die berühmteste Kurtisane der Zeit, hatte ihren großen Auftritt. Sämtlichen Schmuck, den hochvermögende Verehrer ihr geschenkt hatten, am Leib, betrat die schöne Zigeunerin das Lokal: um den Hals zwei Colliers, deren Vorbesitzerinnen die Kaiserinnen Eugénie von Frankreich und Elisabeth von Österreich waren, am Dekolleté zehn ungeschliffene Rubine, an den Händen acht Armbänder mit Rubinen und Smaragden, am Kopf ein Brillantdiadem und ein Paar Ohrringe von zusammen fünfzig Karat. Atemlos wartete ihr Publikum, Adel von Geblüt, Geldaristokratie und noblesse de jupon , des Unterrocks, darauf, wie die Rivalin der Schönen Otero, Liane de Pougy, auf diese Herausforderung reagieren würde. Mit schimmerndem Teint, blond, grazil, wie einem Jugendstilfenster entstiegen, erschien sie von der Rue Royale her in der Tür. »Sie haben einen Hals wie geschaffen für die Guillotine«, hatte ihr der verliebte Schriftsteller Jean Lorrain einst gesagt. Liane de Pougy trug keinen Schmuck. Keinen Ring, keine Kette, nichts. Behängt mit all ihren Juwelen, folgte ihr in drei Schritt Abstand die Zofe. Caroline Otero starb siebenundneunzigjährig und völlig verarmt 1965, kaum ein Jahrzehnt bevor Pierre Cardin das Maxim kaufte, um aus dem einstigen Prestige-Restaurant die Lokomotive für eine Handelsmarke des gehobenen Konsums zu machen. An Signalen für das Ende einer Epoche fehlte es nicht. Fast gleichzeitig mit dem Tod der Otero verunglückte im Bois de Boulogne am Steuer seines Ferrari der letzte Playboy Porfirio Rubirosa, Exbotschafter des dominikanischen Diktators Trujillo, Exgatte von dessen Tochter Flor de Oro, der Milliardärinnen Barbara Hutton und Doris Duke sowie der Schauspielerinnen Danielle Darieux, Zsa Zsa Gabor und Odile Rodin. Die Schöne Otero hatte zuletzt in einer Zweizimmerwohnung am Bahnhof von Nizza gelebt. Das Casino von Monte Carlo, wo sie so viel Geld gelassen hatte, zahlte ihr eine kleine Leibrente. Von Diamantengeschenken größeren Umfangs hörte man danach in Frankreich erst wieder, als der zentralafrikanische Kaiser Bokassa dem Präsidenten Giscard d’Estaing Aufmerksamkeiten erwies.
Der Nationalökonom Werner Sombart beschreibt in »Luxus und Kapitalismus«, wie die Ausgaben der mittelalterlichen Höfe und des Papstes wesentlich zum Entstehen kapitalistischer Wirtschaftsformen beitrugen. Die Einkünfte aus weit verstreuten Gütern wurden an einem Platz gesammelt. Wohlstand häufte sich an. Es bildete sich ein größerer Markt für hochwertige Güter und damit ein Feld für unternehmerische Tätigkeit. In den italienischen Stadtrepubliken veränderte der Reichtum der Handelsherren die Kunstgeschichte; die Kirche war nicht mehr einziger Auftraggeber. In Frankreich, dem klassischen Land des Luxus, floss ein ständiger Strom von Geld und Gütern nach Paris und Versailles. Drückende Steuern und das starre Merkantilsystem Colberts unterhöhlten die alte Gesellschaftsordnung und führten letztlich die Revolution herbei. Auch sie kehrte den Strom nicht um. Der Architekt und Restaurator Viollet-le-Duc konstatierte auf seinen Reisen während des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts, dass er in der Provinz kaum mehr hochqualifizierte Bauhandwerker und Steinmetze fand. Sie waren in Scharen in das weiter aufstrebende Paris abgewandert. Bis in die Gegenwart leistet sich Frankreich den Luxus, den überwiegenden Teil seines kreativen Potenzials und einen überproportionalen Teil seiner materiellen Ressourcen auf die Hauptstadt zu konzentrieren.
Den höfischen Glanz wie den bürgerlichen Prunk dieser Vergangenheit
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