Lesereise Paris
besonders pariserisch gilt, der haute couture ; während sie dazugehören, haben viele andere Ausländer, besonders wenn sie in kompakten nationalen Gruppen auftreten, wachsende Schwierigkeiten, akzeptiert zu werden. Paris, das die Zuwanderung von Bretonen und Auvergnanten, Deutschen, Italienern und Polen, Spaniern und Portugiesen verkraftete, ist spröde geworden.
Perlen für die Snobs
Über den Niedergang des Luxus als Lebensart
Wenn der Beherrscher Saudi-Arabiens eine Kopie der Spiegelgalerie von Versailles als Speisesaal für zweitausend Gäste bauen lässt, dazu breite Schlosskorridore, in denen Elektrofahrzeuge verkehren, einen palasteigenen Atombunker, ein Flugfeld und zehn Kinos, alles innerhalb der Mauern, dann hat er die Dimensionen Ludwigs XIV. übertroffen. Wenn Hollands Bierkönig Alfred Heineken einen Toulouse-Lautrec in seine Toilette hängt, dann zeigt er damit schlechteren Geschmack als jener Rothschild, der täglich zur Essensstunde einen Bediensteten mit einem Kahn auf dem Schlossteich rudern ließ, um den Ausblick auf die Landschaft anmutig zu beleben. Wenn ein Rockstar inkognito in einer Pariser Hotelsuite für viereinhalbtausend Euro pro Nacht absteigt, dann will er es sich leisten. Wenn der Herzogin von Medinaceli beim Blättern in einer Zeitschrift ein Schloss so gut gefällt, dass sie es haben möchte, dann kann es schon mal passieren, dass sie erst durch den Text zu den Fotos erfährt, dass es ihr bereits gehört – so wie hundert andere Besitztümer. Und wenn zu Zeiten, die für ihn besser waren, der Geschäftsmann Adnan Kaschoggi in der New Yorker Filiale von Bulgari sein dreihundertstes Paar Manschettenknöpfe kaufte, dann sicher nicht, um seine Hemdsärmel zu schließen.
Aber ist solcher Aufwand Luxus? Im ökonomischen Sinn gewiss. Denn nach einer geläufigen Definition ist Luxus nichts anderes als relativ großer Konsum von Wohlstand für nicht wesentliches Vergnügen. Die Übergänge zwischen notwendigem Komfort und Luxus waren indessen immer fließend. Noch dazu sind sie an Zeit und Milieu gebunden. Die Badewannen, ohne die man sich heute keinen Neubau-Slum mehr vorstellen kann, ließen sich in Paris vor hundertfünfzig Jahren an den Fingern einer Hand abzählen. Geld ist nicht Eleganz, hohe Preise machen keinen Stil, Publizität kann Exklusivität nicht ersetzen. Wenn Luxus mehr sein will als Protzerei, Hedonismus oder Selbstbestätigung durch das Sammeln von Prestigeobjekten, dann muss er Fantasie entwickeln, spielerisch sein, zweckfrei. Er braucht Muße, gedeiht nicht ohne Ästhetik und verbietet seinen Trägern jeden Gedanken daran, sie könnten durch das Zurschaustellen ihres Reichtums neues Geld verdienen.
Den Moralisten aller Zeiten war Luxus suspekt. Die Stoiker verurteilten ihn, weil er ihrer Vorstellung vom einfachen Leben widersprach. Die Kirchenväter priesen Askese und Armut. Der Protestantismus sah in den Versuchungen des Luxus eine Gefahr für das Heil der unsterblichen Seele. Marxisten verdammten ihn als Ausdruck von Klassenprivilegien und Ausbeutung. »Seine sozialen Grundlagen werden im Sozialismus mit der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der schrittweisen Aufhebung sozialer Unterschiede beseitigt«, war in Meyers Neuem Lexikon, DDR -Ausgabe, zu lesen. Seltsamerweise blühte der Luxus, solange die Wertvorstellungen der europäischen Menschheit religiös oder sozialistisch geprägt waren. Und er fing an zu welken, als sich die Menschheit vom Glauben an das Paradies – im Jenseits oder auf Erden – abwandte.
Könnten sie zurückkehren, sie würden Paris nicht wiedererkennen, das sie als Kultstätte des Luxus verließen: der alte Aga Khan, der sein Schwergewicht alljährlich von seinem ismaelitischen Glaubensvolk in Gold und Edelsteinen aufwiegen ließ (um den Ertrag alsbald wieder zu verschenken); Ludwig Bemelmans, der die kostspielige Welt der Grand Hotels, der Ozeandampfer der Reichen, Talmi-Reichen und ihrer Lakaien unnachahmlich und unnachsichtig beschrieben hat; die Gräfin Greffulhe, die sich Marcel Proust als Vorbild seiner Herzogin de Guermantes nahm, obwohl er sie viel weniger kannte, als er glauben ließ. Schön, klug und reich, regierte die Gräfin fast ein halbes Jahrhundert lang das mondäne Paris. Wen sie in ihrem Haus an der Rue d’Astorg empfing (wo sie, umgeben von den Palais und Gärten verwandter Aristokraten lebte), dem waren in der Stadt alle Wege geebnet: Debussy, Strawinsky, Schaljapin, Richard Strauss,
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